Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_212.001 Zahlreiche Beispiele unterstützen das Überzeugende pst_212.024 1 pst_212.030
Sämtliche Werke, hg. von O. Weiß, Leipzig 1919, Bd. II, S. 120. pst_212.001 Zahlreiche Beispiele unterstützen das Überzeugende pst_212.024 1 pst_212.030
Sämtliche Werke, hg. von O. Weiß, Leipzig 1919, Bd. II, S. 120. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0216" n="212"/><lb n="pst_212.001"/> das Angeschaute allemal unzweifelhaftes Recht: <lb n="pst_212.002"/> denn es ist gar nicht dem Irrtum unterworfen, bedarf <lb n="pst_212.003"/> keiner Beglaubigung von außerhalb, sondern vertritt <lb n="pst_212.004"/> sich selbst. Sein Konflikt mit dem Gedachten entspringt <lb n="pst_212.005"/> zuletzt daraus, daß dieses mit seinen abstrakten Begriffen <lb n="pst_212.006"/> nicht herab kann zur endlosen Mannigfaltigkeit und <lb n="pst_212.007"/> Nüancierung des Anschaulichen. Dieser Sieg der anschauenden <lb n="pst_212.008"/> Erkenntnis über das Denken erfreut uns. <lb n="pst_212.009"/> Denn das Anschauen ist die ursprüngliche, von der tierischen <lb n="pst_212.010"/> Natur unzertrennliche Erkenntnisweise, in der <lb n="pst_212.011"/> sich alles, was dem Willen unmittelbares Genügen gibt, <lb n="pst_212.012"/> darstellt: es ist das Medium der Gegenwart, des Genusses <lb n="pst_212.013"/> und der Fröhlichkeit: auch ist dasselbe mit keiner <lb n="pst_212.014"/> Anstrengung verknüpft. Vom Denken gilt das Gegenteil: <lb n="pst_212.015"/> es ist die zweite Potenz des Erkennens, deren Ausübung <lb n="pst_212.016"/> stets einige, oft bedeutende Anstrengung erfordert, <lb n="pst_212.017"/> und deren Begriffe es sind, welche sich so oft der <lb n="pst_212.018"/> Befriedigung unserer unmittelbaren Wünsche entgegenstellen, <lb n="pst_212.019"/> indem sie, als das Medium der Vergangenheit, <lb n="pst_212.020"/> der Zukunft und des Ernstes, das Vehikel unserer <lb n="pst_212.021"/> Befürchtungen, unserer Reue und aller unserer Sorgen <lb n="pst_212.022"/> abgeben<note xml:id="PST_212_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_212.030"/> Sämtliche Werke, hg. von O. Weiß, Leipzig 1919, Bd. II, S. 120.</note>.»</p> <lb n="pst_212.023"/> <p> Zahlreiche Beispiele unterstützen das Überzeugende <lb n="pst_212.024"/> dieser Erklärung. Das Verhältnis der beiden Ebenen, <lb n="pst_212.025"/> zwischen denen das Lachen sich abspielt, die «Fallhöhe», <lb n="pst_212.026"/> wie wir sagen wollen, ist unübertrefflich dargestellt. <lb n="pst_212.027"/> Einzig die beiden Begriffe «Denken» und «Anschauen» <lb n="pst_212.028"/> bleiben zweifelhaft. Nicht jedes Entwerfen ist <lb n="pst_212.029"/> ein Denken. Auch der Wunsch, die sinnliche Neugier, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [212/0216]
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das Angeschaute allemal unzweifelhaftes Recht: pst_212.002
denn es ist gar nicht dem Irrtum unterworfen, bedarf pst_212.003
keiner Beglaubigung von außerhalb, sondern vertritt pst_212.004
sich selbst. Sein Konflikt mit dem Gedachten entspringt pst_212.005
zuletzt daraus, daß dieses mit seinen abstrakten Begriffen pst_212.006
nicht herab kann zur endlosen Mannigfaltigkeit und pst_212.007
Nüancierung des Anschaulichen. Dieser Sieg der anschauenden pst_212.008
Erkenntnis über das Denken erfreut uns. pst_212.009
Denn das Anschauen ist die ursprüngliche, von der tierischen pst_212.010
Natur unzertrennliche Erkenntnisweise, in der pst_212.011
sich alles, was dem Willen unmittelbares Genügen gibt, pst_212.012
darstellt: es ist das Medium der Gegenwart, des Genusses pst_212.013
und der Fröhlichkeit: auch ist dasselbe mit keiner pst_212.014
Anstrengung verknüpft. Vom Denken gilt das Gegenteil: pst_212.015
es ist die zweite Potenz des Erkennens, deren Ausübung pst_212.016
stets einige, oft bedeutende Anstrengung erfordert, pst_212.017
und deren Begriffe es sind, welche sich so oft der pst_212.018
Befriedigung unserer unmittelbaren Wünsche entgegenstellen, pst_212.019
indem sie, als das Medium der Vergangenheit, pst_212.020
der Zukunft und des Ernstes, das Vehikel unserer pst_212.021
Befürchtungen, unserer Reue und aller unserer Sorgen pst_212.022
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Zahlreiche Beispiele unterstützen das Überzeugende pst_212.024
dieser Erklärung. Das Verhältnis der beiden Ebenen, pst_212.025
zwischen denen das Lachen sich abspielt, die «Fallhöhe», pst_212.026
wie wir sagen wollen, ist unübertrefflich dargestellt. pst_212.027
Einzig die beiden Begriffe «Denken» und «Anschauen» pst_212.028
bleiben zweifelhaft. Nicht jedes Entwerfen ist pst_212.029
ein Denken. Auch der Wunsch, die sinnliche Neugier,
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Sämtliche Werke, hg. von O. Weiß, Leipzig 1919, Bd. II, S. 120.
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