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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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gestürzt, und ohne Gott vermag ein Mensch nicht als pst_201.002
Mensch zu bestehen.

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Also nicht irgendein Unglück ist tragisch, sondern pst_201.004
nur ein Unglück, das dem Menschen seinen Halt, das pst_201.005
letzte Ziel, auf das es ankommt, raubt, so, daß er von pst_201.006
nun an taumelt und ganz von Sinnen ist. Dahin deutet pst_201.007
auch der bekannte Satz, daß der Zufall nicht tragisch pst_201.008
sei, daß tragisches Geschehen eine gewisse Notwendigkeit pst_201.009
haben müsse. Insofern trifft das zu, als ein vereinzeltes pst_201.010
Ereignis den Grund des Glaubens kaum zu erschüttern pst_201.011
vermag. Das Tragische aber vereitelt nicht pst_201.012
einen beliebigen Wunsch oder eine beliebige Hoffnung, pst_201.013
sondern zerstört die Fugen des Sinnzusammenhangs, der pst_201.014
Welt. Wenn die Idee eines Daseins freilich, wie etwa pst_201.015
die Welt des Rationalismus, den dämonischen Zufall pst_201.016
ausschließt, wenn sich der Mensch des Glaubens versichert, pst_201.017
daß nichts geschehen kann, was einer der seinigen pst_201.018
verwandten Vernunft widerspricht, dann ist auch pst_201.019
der Zufall tragisch, und ein Ziegelstein, der vom Dach pst_201.020
fällt und das Hirn eines großen Talents zerschmettert, pst_201.021
wird den konsequenten Rationalisten nicht minder verstören pst_201.022
als Kleist die Entdeckung der Subjektivität der pst_201.023
Wahrheit.

pst_201.024

Damit das Tragische als eigentliche "Welt"-Katastrophe pst_201.025
eintreten kann, muß eine Welt erschlossen und pst_201.026
als umfassende Ordnung verstanden sein. Soll das Tragische pst_201.027
wirksam werden und seine tödliche Kraft ausstrahlen, pst_201.028
so muß es einen Menschen treffen, der konsequent pst_201.029
in der Idee lebt und von der Gültigkeit der Idee pst_201.030
sich nicht das Geringste abmarkten läßt. Beide Möglichkeiten pst_201.031
erfüllt nur der dramatische Geist. Wir haben

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gestürzt, und ohne Gott vermag ein Mensch nicht als pst_201.002
Mensch zu bestehen.

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  Also nicht irgendein Unglück ist tragisch, sondern pst_201.004
nur ein Unglück, das dem Menschen seinen Halt, das pst_201.005
letzte Ziel, auf das es ankommt, raubt, so, daß er von pst_201.006
nun an taumelt und ganz von Sinnen ist. Dahin deutet pst_201.007
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sei, daß tragisches Geschehen eine gewisse Notwendigkeit pst_201.009
haben müsse. Insofern trifft das zu, als ein vereinzeltes pst_201.010
Ereignis den Grund des Glaubens kaum zu erschüttern pst_201.011
vermag. Das Tragische aber vereitelt nicht pst_201.012
einen beliebigen Wunsch oder eine beliebige Hoffnung, pst_201.013
sondern zerstört die Fugen des Sinnzusammenhangs, der pst_201.014
Welt. Wenn die Idee eines Daseins freilich, wie etwa pst_201.015
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ausschließt, wenn sich der Mensch des Glaubens versichert, pst_201.017
daß nichts geschehen kann, was einer der seinigen pst_201.018
verwandten Vernunft widerspricht, dann ist auch pst_201.019
der Zufall tragisch, und ein Ziegelstein, der vom Dach pst_201.020
fällt und das Hirn eines großen Talents zerschmettert, pst_201.021
wird den konsequenten Rationalisten nicht minder verstören pst_201.022
als Kleist die Entdeckung der Subjektivität der pst_201.023
Wahrheit.

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  Damit das Tragische als eigentliche «Welt»-Katastrophe pst_201.025
eintreten kann, muß eine Welt erschlossen und pst_201.026
als umfassende Ordnung verstanden sein. Soll das Tragische pst_201.027
wirksam werden und seine tödliche Kraft ausstrahlen, pst_201.028
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/205>, abgerufen am 24.11.2024.