pst_197.001 alles ins Rechte gefügt hat - Held des Dramas, dessen pst_197.002 Bewegung auf ein Ziel, wenn möglich ein letztes Ziel pst_197.003 des Menschen, gerichtet ist.
pst_197.004
4.
pst_197.005
Vielleicht geht aber die Bewegung sogar noch über pst_197.006 das Ziel hinaus, so, daß die Frage "Worumwillen?" zuletzt pst_197.007 ins Leere stößt. - Heinrich von Kleist hat schon als pst_197.008 junger Mensch die Idee seines Lebens entworfen1. Wahrheit pst_197.009 und Tugend werden als höchster Sinn bezeichnet. pst_197.010 Ein Weg wird beschrieben, auf dem der Mensch dieses pst_197.011 Ziel mit absoluter Gewißheit erreichen muß. Die Briefe pst_197.012 Kleists bezeugen, daß er mit preußischer Folgerichtigkeit, pst_197.013 mit der "nordischen Schärfe des Hypochonders"2, pst_197.014 sein Leben im Großen und Kleinen nach seinem Entwurf pst_197.015 eingerichtet und jede Stunde, jede Tat, ja jeden pst_197.016 Gedanken auf die eine umfassende Idee bezogen hat. pst_197.017 Bald zeigt sich aber, daß er den scheinbar sicheren Weg pst_197.018 nicht gehen kann, nicht etwa deshalb, weil er es an der pst_197.019 nötigen Anstrengung fehlen ließe - im Gegenteil, deshalb, pst_197.020 weil er auch nicht zu dem leisesten Kompromiß pst_197.021 bereit ist. Der Wille zur Tugend scheitert an unvermeidlichen pst_197.022 Kollisionen der Pflichten. Er weiß nicht, ob er pst_197.023 als Offizier oder ob er als Mensch handeln soll. Der Wille pst_197.024 zur Wahrheit stößt auf die durch Kant vermittelte Erkenntnis, pst_197.025 daß eine Wahrheit unabhängig vom Sein des pst_197.026 Menschen undenkbar ist. So führt die Mühe um sein pst_197.027 Problem zur Einsicht, daß es sich selbst widerspricht.
1pst_197.028 Vgl. den "Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden".
2pst_197.029 Goethe zu Falk um 1809.
pst_197.001 alles ins Rechte gefügt hat – Held des Dramas, dessen pst_197.002 Bewegung auf ein Ziel, wenn möglich ein letztes Ziel pst_197.003 des Menschen, gerichtet ist.
pst_197.004
4.
pst_197.005
Vielleicht geht aber die Bewegung sogar noch über pst_197.006 das Ziel hinaus, so, daß die Frage «Worumwillen?» zuletzt pst_197.007 ins Leere stößt. – Heinrich von Kleist hat schon als pst_197.008 junger Mensch die Idee seines Lebens entworfen1. Wahrheit pst_197.009 und Tugend werden als höchster Sinn bezeichnet. pst_197.010 Ein Weg wird beschrieben, auf dem der Mensch dieses pst_197.011 Ziel mit absoluter Gewißheit erreichen muß. Die Briefe pst_197.012 Kleists bezeugen, daß er mit preußischer Folgerichtigkeit, pst_197.013 mit der «nordischen Schärfe des Hypochonders»2, pst_197.014 sein Leben im Großen und Kleinen nach seinem Entwurf pst_197.015 eingerichtet und jede Stunde, jede Tat, ja jeden pst_197.016 Gedanken auf die eine umfassende Idee bezogen hat. pst_197.017 Bald zeigt sich aber, daß er den scheinbar sicheren Weg pst_197.018 nicht gehen kann, nicht etwa deshalb, weil er es an der pst_197.019 nötigen Anstrengung fehlen ließe – im Gegenteil, deshalb, pst_197.020 weil er auch nicht zu dem leisesten Kompromiß pst_197.021 bereit ist. Der Wille zur Tugend scheitert an unvermeidlichen pst_197.022 Kollisionen der Pflichten. Er weiß nicht, ob er pst_197.023 als Offizier oder ob er als Mensch handeln soll. Der Wille pst_197.024 zur Wahrheit stößt auf die durch Kant vermittelte Erkenntnis, pst_197.025 daß eine Wahrheit unabhängig vom Sein des pst_197.026 Menschen undenkbar ist. So führt die Mühe um sein pst_197.027 Problem zur Einsicht, daß es sich selbst widerspricht.
1pst_197.028 Vgl. den «Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden».
2pst_197.029 Goethe zu Falk um 1809.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0201"n="197"/><lbn="pst_197.001"/>
alles ins Rechte gefügt hat – Held des Dramas, dessen <lbn="pst_197.002"/>
Bewegung auf ein Ziel, wenn möglich ein letztes Ziel <lbn="pst_197.003"/>
des Menschen, gerichtet ist.</p></div><divn="2"><lbn="pst_197.004"/><head><hirendition="#c">4.</hi></head><lbn="pst_197.005"/><p> Vielleicht geht aber die Bewegung sogar noch über <lbn="pst_197.006"/>
das Ziel hinaus, so, daß die Frage «Worumwillen?» zuletzt <lbn="pst_197.007"/>
ins Leere stößt. – Heinrich von Kleist hat schon als <lbn="pst_197.008"/>
junger Mensch die Idee seines Lebens entworfen<notexml:id="PST_197_1"place="foot"n="1"><lbn="pst_197.028"/>
Vgl. den «Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden».</note>. Wahrheit <lbn="pst_197.009"/>
und Tugend werden als höchster Sinn bezeichnet. <lbn="pst_197.010"/>
Ein Weg wird beschrieben, auf dem der Mensch dieses <lbn="pst_197.011"/>
Ziel mit absoluter Gewißheit erreichen muß. Die Briefe <lbn="pst_197.012"/>
Kleists bezeugen, daß er mit preußischer Folgerichtigkeit, <lbn="pst_197.013"/>
mit der «nordischen Schärfe des Hypochonders»<notexml:id="PST_197_2"place="foot"n="2"><lbn="pst_197.029"/>
Goethe zu Falk um 1809.</note>, <lbn="pst_197.014"/>
sein Leben im Großen und Kleinen nach seinem Entwurf <lbn="pst_197.015"/>
eingerichtet und jede Stunde, jede Tat, ja jeden <lbn="pst_197.016"/>
Gedanken auf die eine umfassende Idee bezogen hat. <lbn="pst_197.017"/>
Bald zeigt sich aber, daß er den scheinbar sicheren Weg <lbn="pst_197.018"/>
nicht gehen kann, nicht etwa deshalb, weil er es an der <lbn="pst_197.019"/>
nötigen Anstrengung fehlen ließe – im Gegenteil, deshalb, <lbn="pst_197.020"/>
weil er auch nicht zu dem leisesten Kompromiß <lbn="pst_197.021"/>
bereit ist. Der Wille zur Tugend scheitert an unvermeidlichen <lbn="pst_197.022"/>
Kollisionen der Pflichten. Er weiß nicht, ob er <lbn="pst_197.023"/>
als Offizier oder ob er als Mensch handeln soll. Der Wille <lbn="pst_197.024"/>
zur Wahrheit stößt auf die durch Kant vermittelte Erkenntnis, <lbn="pst_197.025"/>
daß eine Wahrheit unabhängig vom Sein des <lbn="pst_197.026"/>
Menschen undenkbar ist. So führt die Mühe um sein <lbn="pst_197.027"/>
Problem zur Einsicht, daß es sich selbst widerspricht.</p></div></div></body></text></TEI>
[197/0201]
pst_197.001
alles ins Rechte gefügt hat – Held des Dramas, dessen pst_197.002
Bewegung auf ein Ziel, wenn möglich ein letztes Ziel pst_197.003
des Menschen, gerichtet ist.
pst_197.004
4. pst_197.005
Vielleicht geht aber die Bewegung sogar noch über pst_197.006
das Ziel hinaus, so, daß die Frage «Worumwillen?» zuletzt pst_197.007
ins Leere stößt. – Heinrich von Kleist hat schon als pst_197.008
junger Mensch die Idee seines Lebens entworfen 1. Wahrheit pst_197.009
und Tugend werden als höchster Sinn bezeichnet. pst_197.010
Ein Weg wird beschrieben, auf dem der Mensch dieses pst_197.011
Ziel mit absoluter Gewißheit erreichen muß. Die Briefe pst_197.012
Kleists bezeugen, daß er mit preußischer Folgerichtigkeit, pst_197.013
mit der «nordischen Schärfe des Hypochonders» 2, pst_197.014
sein Leben im Großen und Kleinen nach seinem Entwurf pst_197.015
eingerichtet und jede Stunde, jede Tat, ja jeden pst_197.016
Gedanken auf die eine umfassende Idee bezogen hat. pst_197.017
Bald zeigt sich aber, daß er den scheinbar sicheren Weg pst_197.018
nicht gehen kann, nicht etwa deshalb, weil er es an der pst_197.019
nötigen Anstrengung fehlen ließe – im Gegenteil, deshalb, pst_197.020
weil er auch nicht zu dem leisesten Kompromiß pst_197.021
bereit ist. Der Wille zur Tugend scheitert an unvermeidlichen pst_197.022
Kollisionen der Pflichten. Er weiß nicht, ob er pst_197.023
als Offizier oder ob er als Mensch handeln soll. Der Wille pst_197.024
zur Wahrheit stößt auf die durch Kant vermittelte Erkenntnis, pst_197.025
daß eine Wahrheit unabhängig vom Sein des pst_197.026
Menschen undenkbar ist. So führt die Mühe um sein pst_197.027
Problem zur Einsicht, daß es sich selbst widerspricht.
1 pst_197.028
Vgl. den «Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden».
2 pst_197.029
Goethe zu Falk um 1809.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/201>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.