pst_147.001 den Vorzug geben. Wer aber den Maßstab des Epischen pst_147.002 anlegt, wird das Inferno mächtiger finden. Denn hier pst_147.003 tritt alles sichtbarer hervor. Fest stehen die einzelnen pst_147.004 Gestalten da, undurchsichtig, in einer Körperlichkeit, pst_147.005 die dem Auge Widerpart hält. Dieselben Züge jedoch, pst_147.006 die den an Homer geschulten Betrachter erfreuen, bedeuten pst_147.007 im Zusammenhang des Danteschen Gedichts pst_147.008 Verworfenheit. Verworfen ist, wer in sich selbst besteht pst_147.009 und wessen Körper wesentlich wird; verworfen, wessen pst_147.010 Zweck in jedem Punkte seiner Bewegung liegt und pst_147.011 nicht in jenem glorreichen Ende, auf das hin Gott den pst_147.012 Menschen geschaffen. Eine denkwürdige Situation! Die pst_147.013 epische Welt ist zur Hölle geworden, weil sie die neue pst_147.014 Bewegung nach oben, welche im Christentum anhebt, pst_147.015 nicht teilt. Ähnlich steht es bei Milton und Klopstock. pst_147.016 Auch da gerät das Höllische besser nach dem Maßstab pst_147.017 der epischen Kunst. Und da sich Klopstock im Technischen pst_147.018 seines Dichtens eng an Homer anschließt, kann pst_147.019 über ihn das Urteil nicht schwanken: Stilistisch einstimmig pst_147.020 sind allein die Schilderungen der gottlosen pst_147.021 Sphäre.
pst_147.022
Historischer Forschung ist aufgetragen, zu untersuchen, pst_147.023 welche Wandlung das Epos in christlicher Zeit pst_147.024 durchmacht, wie etwa im Nibelungenlied, bei Ariost pst_147.025 und Tasso Dramatisches oder Lyrisches mehr hervortritt. pst_147.026 Dagegen sei hier noch auf das Tierepos hingewiesen, pst_147.027 auf "Reinke de vos", der unter allen neueren Epen pst_147.028 gewiß das am meisten epische ist. Die Tiere stehen nicht pst_147.029 in der Spannung von Sündenfall und jüngstem Gericht. pst_147.030 Sie machen keine Entwicklung durch. Ein Fuchs ist ein pst_147.031 Fuchs und ein Dachs ist ein Dachs, unwiderruflich festgestellt
pst_147.001 den Vorzug geben. Wer aber den Maßstab des Epischen pst_147.002 anlegt, wird das Inferno mächtiger finden. Denn hier pst_147.003 tritt alles sichtbarer hervor. Fest stehen die einzelnen pst_147.004 Gestalten da, undurchsichtig, in einer Körperlichkeit, pst_147.005 die dem Auge Widerpart hält. Dieselben Züge jedoch, pst_147.006 die den an Homer geschulten Betrachter erfreuen, bedeuten pst_147.007 im Zusammenhang des Danteschen Gedichts pst_147.008 Verworfenheit. Verworfen ist, wer in sich selbst besteht pst_147.009 und wessen Körper wesentlich wird; verworfen, wessen pst_147.010 Zweck in jedem Punkte seiner Bewegung liegt und pst_147.011 nicht in jenem glorreichen Ende, auf das hin Gott den pst_147.012 Menschen geschaffen. Eine denkwürdige Situation! Die pst_147.013 epische Welt ist zur Hölle geworden, weil sie die neue pst_147.014 Bewegung nach oben, welche im Christentum anhebt, pst_147.015 nicht teilt. Ähnlich steht es bei Milton und Klopstock. pst_147.016 Auch da gerät das Höllische besser nach dem Maßstab pst_147.017 der epischen Kunst. Und da sich Klopstock im Technischen pst_147.018 seines Dichtens eng an Homer anschließt, kann pst_147.019 über ihn das Urteil nicht schwanken: Stilistisch einstimmig pst_147.020 sind allein die Schilderungen der gottlosen pst_147.021 Sphäre.
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Historischer Forschung ist aufgetragen, zu untersuchen, pst_147.023 welche Wandlung das Epos in christlicher Zeit pst_147.024 durchmacht, wie etwa im Nibelungenlied, bei Ariost pst_147.025 und Tasso Dramatisches oder Lyrisches mehr hervortritt. pst_147.026 Dagegen sei hier noch auf das Tierepos hingewiesen, pst_147.027 auf «Reinke de vos», der unter allen neueren Epen pst_147.028 gewiß das am meisten epische ist. Die Tiere stehen nicht pst_147.029 in der Spannung von Sündenfall und jüngstem Gericht. pst_147.030 Sie machen keine Entwicklung durch. Ein Fuchs ist ein pst_147.031 Fuchs und ein Dachs ist ein Dachs, unwiderruflich festgestellt
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/151>, abgerufen am 16.02.2025.
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