Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_105.001 Um zu sehen, bedarf es des Lichts. Im Licht, das die pst_105.006 "Schreiend brach er ins Knie, vom Schleier des Todes pst_105.024 pst_105.025beschattet" oder: pst_105.026 "jenem umflorte pst_105.027 pst_105.029Gleich die Augen der nächtige Tod und das mächtige pst_105.028 Schicksal." Das lyrische Dasein kennt ein solches Grauen vor dem pst_105.030 pst_105.001 Um zu sehen, bedarf es des Lichts. Im Licht, das die pst_105.006 «Schreiend brach er ins Knie, vom Schleier des Todes pst_105.024 pst_105.025beschattet» oder: pst_105.026 «jenem umflorte pst_105.027 pst_105.029Gleich die Augen der nächtige Tod und das mächtige pst_105.028 Schicksal.» Das lyrische Dasein kennt ein solches Grauen vor dem pst_105.030 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0109" n="105"/><lb n="pst_105.001"/> die Götter geschaffen. Doch dieses Schaffen der <lb n="pst_105.002"/> Götter ist nur ein Teil seiner allgemeineren Leistung, <lb n="pst_105.003"/> daß er weithin die leuchtende Sichtbarkeit des Lebens <lb n="pst_105.004"/> erschlossen hat.</p> <lb n="pst_105.005"/> <p> Um zu sehen, bedarf es des Lichts. Im Licht, das die <lb n="pst_105.006"/> epische Rede, das eigentlich «apophantische» Wort, verbreitet, <lb n="pst_105.007"/> steht der Olymp und das menschliche Reich in <lb n="pst_105.008"/> klar gezogenen Umrissen da. Im Licht zu leben, ist <lb n="pst_105.009"/> darum auch das höchste Glück des homerischen Menschen. <lb n="pst_105.010"/> Zeus ist der Gott der größten Helle, im wörtlichen <lb n="pst_105.011"/> und übertragenen Sinn. Die Helle der Berghöhe <lb n="pst_105.012"/> ist um ihn, und Helle auch insofern, als kein Geheimnis <lb n="pst_105.013"/> mehr seine Erscheinung umwittert. Man mag darin immerhin <lb n="pst_105.014"/> einen Verlust an magischer Mächtigkeit beklagen. <lb n="pst_105.015"/> Der Epiker gibt sie gerne preis und lüftet den <lb n="pst_105.016"/> Schleier des Heiligen immer wieder, der Sichtbarkeit <lb n="pst_105.017"/> zulieb. Die Sonne wird so zum Licht des vielberufenen <lb n="pst_105.018"/> homerischen Rationalismus. Die Helle Homers ist Aufklärung, <lb n="pst_105.019"/> als solche nüchtern, aber stark, gesund, dauerhaft <lb n="pst_105.020"/> und bestimmt. Freilich wird sie erkauft mit unüberwindlicher <lb n="pst_105.021"/> Scheu vor der Nacht und dem Tod. Fällt ein <lb n="pst_105.022"/> Held im Kampf, so lesen wir die stereotype Formel:</p> <lb n="pst_105.023"/> <lg> <l>«Schreiend brach er ins Knie, vom Schleier des Todes</l> <lb n="pst_105.024"/> <l>beschattet»</l> </lg> <lb n="pst_105.025"/> <p>oder:</p> <lb n="pst_105.026"/> <lg> <l> «jenem umflorte</l> <lb n="pst_105.027"/> <l>Gleich die Augen der nächtige Tod und das mächtige</l> <lb n="pst_105.028"/> <l> <hi rendition="#et">Schicksal.»</hi> </l> </lg> <lb n="pst_105.029"/> <p> Das lyrische Dasein kennt ein solches Grauen vor dem <lb n="pst_105.030"/> Dunkel, vor dem Tod, wo die Augen sich schließen, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0109]
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die Götter geschaffen. Doch dieses Schaffen der pst_105.002
Götter ist nur ein Teil seiner allgemeineren Leistung, pst_105.003
daß er weithin die leuchtende Sichtbarkeit des Lebens pst_105.004
erschlossen hat.
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Um zu sehen, bedarf es des Lichts. Im Licht, das die pst_105.006
epische Rede, das eigentlich «apophantische» Wort, verbreitet, pst_105.007
steht der Olymp und das menschliche Reich in pst_105.008
klar gezogenen Umrissen da. Im Licht zu leben, ist pst_105.009
darum auch das höchste Glück des homerischen Menschen. pst_105.010
Zeus ist der Gott der größten Helle, im wörtlichen pst_105.011
und übertragenen Sinn. Die Helle der Berghöhe pst_105.012
ist um ihn, und Helle auch insofern, als kein Geheimnis pst_105.013
mehr seine Erscheinung umwittert. Man mag darin immerhin pst_105.014
einen Verlust an magischer Mächtigkeit beklagen. pst_105.015
Der Epiker gibt sie gerne preis und lüftet den pst_105.016
Schleier des Heiligen immer wieder, der Sichtbarkeit pst_105.017
zulieb. Die Sonne wird so zum Licht des vielberufenen pst_105.018
homerischen Rationalismus. Die Helle Homers ist Aufklärung, pst_105.019
als solche nüchtern, aber stark, gesund, dauerhaft pst_105.020
und bestimmt. Freilich wird sie erkauft mit unüberwindlicher pst_105.021
Scheu vor der Nacht und dem Tod. Fällt ein pst_105.022
Held im Kampf, so lesen wir die stereotype Formel:
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«Schreiend brach er ins Knie, vom Schleier des Todes pst_105.024
beschattet»
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«jenem umflorte pst_105.027
Gleich die Augen der nächtige Tod und das mächtige pst_105.028
Schicksal.»
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Das lyrische Dasein kennt ein solches Grauen vor dem pst_105.030
Dunkel, vor dem Tod, wo die Augen sich schließen,
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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