fest weiter und ließ es nicht mehr los, denn sie fürchtete, es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen wollen. Der Peter sprang in die Hütte hinein und schlug mit seinem ganzen Bündel Ruthen so furchtbar auf den Tisch los, daß Alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufsprang und laut aufjammerte. Der Peter hatte sich Luft machen müssen.
"Was ist's denn? was ist's denn?" rief angstvoll die Großmutter, und die Mutter, die am Tisch gesessen hatte und fast aufgeflogen war bei dem Knall, sagte in ange¬ borner Langmuth: "Was hast, Peterli, warum thust so wüst?"
"Weil sie das Heidi mitgenommen hat", erklärte Peter.
"Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?" fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angst; sie mußte aber schnell errathen haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor Kurzem berichtet, sie habe die Dete gesehen zum Alm-Oehi hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile, machte die Gro߬ mutter das Fenster auf und rief flehentlich hinaus: "Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das Heidi nicht!"
Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was sie rief, denn sie faßte das Kind noch fester und lief, was sie konnte. Heidi wider¬
feſt weiter und ließ es nicht mehr los, denn ſie fürchtete, es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen wollen. Der Peter ſprang in die Hütte hinein und ſchlug mit ſeinem ganzen Bündel Ruthen ſo furchtbar auf den Tiſch los, daß Alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufſprang und laut aufjammerte. Der Peter hatte ſich Luft machen müſſen.
„Was iſt's denn? was iſt's denn?“ rief angſtvoll die Großmutter, und die Mutter, die am Tiſch geſeſſen hatte und faſt aufgeflogen war bei dem Knall, ſagte in ange¬ borner Langmuth: „Was haſt, Peterli, warum thuſt ſo wüſt?“
„Weil ſie das Heidi mitgenommen hat“, erklärte Peter.
„Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?“ fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angſt; ſie mußte aber ſchnell errathen haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor Kurzem berichtet, ſie habe die Dete geſehen zum Alm-Oehi hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile, machte die Gro߬ mutter das Fenſter auf und rief flehentlich hinaus: „Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das Heidi nicht!“
Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was ſie rief, denn ſie faßte das Kind noch feſter und lief, was ſie konnte. Heidi wider¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="84"/>
feſt weiter und ließ es nicht mehr los, denn ſie fürchtete,<lb/>
es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen,<lb/>
es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen<lb/>
wollen. Der Peter ſprang in die Hütte hinein und ſchlug<lb/>
mit ſeinem ganzen Bündel Ruthen ſo furchtbar auf den<lb/>
Tiſch los, daß Alles erzitterte und die Großmutter vor<lb/>
Schrecken vom Spinnrad aufſprang und laut aufjammerte.<lb/>
Der Peter hatte ſich Luft machen müſſen.</p><lb/><p>„Was iſt's denn? was iſt's denn?“ rief angſtvoll die<lb/>
Großmutter, und die Mutter, die am Tiſch geſeſſen hatte<lb/>
und faſt aufgeflogen war bei dem Knall, ſagte in ange¬<lb/>
borner Langmuth: „Was haſt, Peterli, warum thuſt ſo<lb/>
wüſt?“</p><lb/><p>„Weil ſie das Heidi mitgenommen hat“, erklärte<lb/>
Peter.</p><lb/><p>„Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?“ fragte die<lb/>
Großmutter jetzt mit neuer Angſt; ſie mußte aber ſchnell<lb/>
errathen haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor<lb/>
Kurzem berichtet, ſie habe die Dete geſehen zum Alm-Oehi<lb/>
hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile, machte die Gro߬<lb/>
mutter das Fenſter auf und rief flehentlich hinaus: „Dete,<lb/>
Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das<lb/>
Heidi nicht!“</p><lb/><p>Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die<lb/>
Dete mochte wohl ahnen, was ſie rief, denn ſie faßte das<lb/>
Kind noch feſter und lief, was ſie konnte. Heidi wider¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[84/0094]
feſt weiter und ließ es nicht mehr los, denn ſie fürchtete,
es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen,
es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen
wollen. Der Peter ſprang in die Hütte hinein und ſchlug
mit ſeinem ganzen Bündel Ruthen ſo furchtbar auf den
Tiſch los, daß Alles erzitterte und die Großmutter vor
Schrecken vom Spinnrad aufſprang und laut aufjammerte.
Der Peter hatte ſich Luft machen müſſen.
„Was iſt's denn? was iſt's denn?“ rief angſtvoll die
Großmutter, und die Mutter, die am Tiſch geſeſſen hatte
und faſt aufgeflogen war bei dem Knall, ſagte in ange¬
borner Langmuth: „Was haſt, Peterli, warum thuſt ſo
wüſt?“
„Weil ſie das Heidi mitgenommen hat“, erklärte
Peter.
„Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?“ fragte die
Großmutter jetzt mit neuer Angſt; ſie mußte aber ſchnell
errathen haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor
Kurzem berichtet, ſie habe die Dete geſehen zum Alm-Oehi
hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile, machte die Gro߬
mutter das Fenſter auf und rief flehentlich hinaus: „Dete,
Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das
Heidi nicht!“
Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die
Dete mochte wohl ahnen, was ſie rief, denn ſie faßte das
Kind noch feſter und lief, was ſie konnte. Heidi wider¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/94>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.