Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

das nicht an ein Kleid gehörte. Der Oehi schaute sie an
von oben bis unten und sagte kein Wort. Aber die Base
Dete hatte im Sinn, ein sehr freundliches Gespräch zu
führen, denn sie fing gleich an zu rühmen und sagte, das
Heidi sehe so gut aus, sie habe es fast nicht mehr gekannt
und man könne schon sehen, daß es ihm nicht schlecht ge¬
gangen sei beim Großvater. Sie habe aber gewiß auch
immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn sie
habe ja schon begreifen können, daß ihm das Kleine im Weg
sein müsse, aber in jenem Augenblick habe sie es ja nirgends
sonst hinthun können; seither aber habe sie Tag und Nacht
nachgesonnen, wo sie das Kind etwa unterbringen könnte,
und deßwegen komme sie auch heute, denn auf einmal habe
sie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem solchen
Glück kommen, daß sie es gar nicht habe glauben wollen.
Dann sei sie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen,
und nun könne sie sagen, es sei Alles so gut wie in Rich¬
tigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hundert¬
tausenden nicht Eines. Furchtbar reiche Verwandte von
ihrer Herrschaft, die fast im schönsten Haus in ganz Frank¬
furt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müsse
immer im Rollstuhl sitzen, denn es sei auf einer Seite lahm
und sonst nicht gesund, und so sei es fast immer allein und
müsse auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer,
und das sei ihm so langweilig und auch sonst hätte es gern
eine Gespielin im Haus, und da haben sie so davon geredet

das nicht an ein Kleid gehörte. Der Oehi ſchaute ſie an
von oben bis unten und ſagte kein Wort. Aber die Baſe
Dete hatte im Sinn, ein ſehr freundliches Geſpräch zu
führen, denn ſie fing gleich an zu rühmen und ſagte, das
Heidi ſehe ſo gut aus, ſie habe es faſt nicht mehr gekannt
und man könne ſchon ſehen, daß es ihm nicht ſchlecht ge¬
gangen ſei beim Großvater. Sie habe aber gewiß auch
immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn ſie
habe ja ſchon begreifen können, daß ihm das Kleine im Weg
ſein müſſe, aber in jenem Augenblick habe ſie es ja nirgends
ſonſt hinthun können; ſeither aber habe ſie Tag und Nacht
nachgeſonnen, wo ſie das Kind etwa unterbringen könnte,
und deßwegen komme ſie auch heute, denn auf einmal habe
ſie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem ſolchen
Glück kommen, daß ſie es gar nicht habe glauben wollen.
Dann ſei ſie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen,
und nun könne ſie ſagen, es ſei Alles ſo gut wie in Rich¬
tigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hundert¬
tauſenden nicht Eines. Furchtbar reiche Verwandte von
ihrer Herrſchaft, die faſt im ſchönſten Haus in ganz Frank¬
furt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müſſe
immer im Rollſtuhl ſitzen, denn es ſei auf einer Seite lahm
und ſonſt nicht geſund, und ſo ſei es faſt immer allein und
müſſe auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer,
und das ſei ihm ſo langweilig und auch ſonſt hätte es gern
eine Geſpielin im Haus, und da haben ſie ſo davon geredet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="79"/>
das nicht an ein Kleid gehörte. Der Oehi &#x017F;chaute &#x017F;ie an<lb/>
von oben bis unten und &#x017F;agte kein Wort. Aber die Ba&#x017F;e<lb/>
Dete hatte im Sinn, ein &#x017F;ehr freundliches Ge&#x017F;präch zu<lb/>
führen, denn &#x017F;ie fing gleich an zu rühmen und &#x017F;agte, das<lb/>
Heidi &#x017F;ehe &#x017F;o gut aus, &#x017F;ie habe es fa&#x017F;t nicht mehr gekannt<lb/>
und man könne &#x017F;chon &#x017F;ehen, daß es ihm nicht &#x017F;chlecht ge¬<lb/>
gangen &#x017F;ei beim Großvater. Sie habe aber gewiß auch<lb/>
immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn &#x017F;ie<lb/>
habe ja &#x017F;chon begreifen können, daß ihm das Kleine im Weg<lb/>
&#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e, aber in jenem Augenblick habe &#x017F;ie es ja nirgends<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t hinthun können; &#x017F;either aber habe &#x017F;ie Tag und Nacht<lb/>
nachge&#x017F;onnen, wo &#x017F;ie das Kind etwa unterbringen könnte,<lb/>
und deßwegen komme &#x017F;ie auch heute, denn auf einmal habe<lb/>
&#x017F;ie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem &#x017F;olchen<lb/>
Glück kommen, daß &#x017F;ie es gar nicht habe glauben wollen.<lb/>
Dann &#x017F;ei &#x017F;ie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen,<lb/>
und nun könne &#x017F;ie &#x017F;agen, es &#x017F;ei Alles &#x017F;o gut wie in Rich¬<lb/>
tigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hundert¬<lb/>
tau&#x017F;enden nicht Eines. Furchtbar reiche Verwandte von<lb/>
ihrer Herr&#x017F;chaft, die fa&#x017F;t im &#x017F;chön&#x017F;ten Haus in ganz Frank¬<lb/>
furt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
immer im Roll&#x017F;tuhl &#x017F;itzen, denn es &#x017F;ei auf einer Seite lahm<lb/>
und &#x017F;on&#x017F;t nicht ge&#x017F;und, und &#x017F;o &#x017F;ei es fa&#x017F;t immer allein und<lb/>&#x017F;&#x017F;e auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer,<lb/>
und das &#x017F;ei ihm &#x017F;o langweilig und auch &#x017F;on&#x017F;t hätte es gern<lb/>
eine Ge&#x017F;pielin im Haus, und da haben &#x017F;ie &#x017F;o davon geredet<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] das nicht an ein Kleid gehörte. Der Oehi ſchaute ſie an von oben bis unten und ſagte kein Wort. Aber die Baſe Dete hatte im Sinn, ein ſehr freundliches Geſpräch zu führen, denn ſie fing gleich an zu rühmen und ſagte, das Heidi ſehe ſo gut aus, ſie habe es faſt nicht mehr gekannt und man könne ſchon ſehen, daß es ihm nicht ſchlecht ge¬ gangen ſei beim Großvater. Sie habe aber gewiß auch immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn ſie habe ja ſchon begreifen können, daß ihm das Kleine im Weg ſein müſſe, aber in jenem Augenblick habe ſie es ja nirgends ſonſt hinthun können; ſeither aber habe ſie Tag und Nacht nachgeſonnen, wo ſie das Kind etwa unterbringen könnte, und deßwegen komme ſie auch heute, denn auf einmal habe ſie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem ſolchen Glück kommen, daß ſie es gar nicht habe glauben wollen. Dann ſei ſie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen, und nun könne ſie ſagen, es ſei Alles ſo gut wie in Rich¬ tigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hundert¬ tauſenden nicht Eines. Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrſchaft, die faſt im ſchönſten Haus in ganz Frank¬ furt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müſſe immer im Rollſtuhl ſitzen, denn es ſei auf einer Seite lahm und ſonſt nicht geſund, und ſo ſei es faſt immer allein und müſſe auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer, und das ſei ihm ſo langweilig und auch ſonſt hätte es gern eine Geſpielin im Haus, und da haben ſie ſo davon geredet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/89
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/89>, abgerufen am 27.11.2024.