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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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wenn sie Beide schlafen, ist es mir manchmal so angst und
bang, es falle Alles über uns zusammen und schlage uns
alle Drei todt; ach und da ist kein Mensch, der etwas
ausbessern könnte an der Hütte, der Peter versteht's nicht."

"Aber warum kannst du denn nicht sehen, wie der
Laden thut, Großmutter? Sieh' jetzt wieder, dort gerade
dort." Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem
Finger.

"Ach Kind, ich kann ja gar Nichts sehen, gar Nichts,
nicht nur den Laden nicht", klagte die Großmutter.

"Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz auf¬
mache, daß es recht hell wird, kannst du dann sehen, Gro߬
mutter?"

"Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir Niemand
mehr hell machen."

"Aber wenn du hinausgehst in den ganz weißen
Schnee, dann wird es dir gewiß hell; komm' nur mit mir,
Großmutter, ich will dir's zeigen." Heidi nahm die Gro߬
mutter bei der Hand und wollte sie fortziehn, denn es
fing an, ihm ganz ängstlich zu Muth zu werden, daß es
ihr nirgends hell wurde.

"Laß mich nur sitzen, du gutes Kind, es bleibt doch
dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, sie dringt
nicht mehr in meine Augen."

"Aber dann doch im Sommer, Großmutter", sagte
Heidi immer ängstlicher nach einem guten Ausweg suchend,

wenn ſie Beide ſchlafen, iſt es mir manchmal ſo angſt und
bang, es falle Alles über uns zuſammen und ſchlage uns
alle Drei todt; ach und da iſt kein Menſch, der etwas
ausbeſſern könnte an der Hütte, der Peter verſteht's nicht.“

„Aber warum kannſt du denn nicht ſehen, wie der
Laden thut, Großmutter? Sieh' jetzt wieder, dort gerade
dort.“ Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem
Finger.

„Ach Kind, ich kann ja gar Nichts ſehen, gar Nichts,
nicht nur den Laden nicht“, klagte die Großmutter.

„Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz auf¬
mache, daß es recht hell wird, kannſt du dann ſehen, Gro߬
mutter?“

„Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir Niemand
mehr hell machen.“

„Aber wenn du hinausgehſt in den ganz weißen
Schnee, dann wird es dir gewiß hell; komm' nur mit mir,
Großmutter, ich will dir's zeigen.“ Heidi nahm die Gro߬
mutter bei der Hand und wollte ſie fortziehn, denn es
fing an, ihm ganz ängſtlich zu Muth zu werden, daß es
ihr nirgends hell wurde.

„Laß mich nur ſitzen, du gutes Kind, es bleibt doch
dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, ſie dringt
nicht mehr in meine Augen.“

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[61/0071] wenn ſie Beide ſchlafen, iſt es mir manchmal ſo angſt und bang, es falle Alles über uns zuſammen und ſchlage uns alle Drei todt; ach und da iſt kein Menſch, der etwas ausbeſſern könnte an der Hütte, der Peter verſteht's nicht.“ „Aber warum kannſt du denn nicht ſehen, wie der Laden thut, Großmutter? Sieh' jetzt wieder, dort gerade dort.“ Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger. „Ach Kind, ich kann ja gar Nichts ſehen, gar Nichts, nicht nur den Laden nicht“, klagte die Großmutter. „Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz auf¬ mache, daß es recht hell wird, kannſt du dann ſehen, Gro߬ mutter?“ „Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir Niemand mehr hell machen.“ „Aber wenn du hinausgehſt in den ganz weißen Schnee, dann wird es dir gewiß hell; komm' nur mit mir, Großmutter, ich will dir's zeigen.“ Heidi nahm die Gro߬ mutter bei der Hand und wollte ſie fortziehn, denn es fing an, ihm ganz ängſtlich zu Muth zu werden, daß es ihr nirgends hell wurde. „Laß mich nur ſitzen, du gutes Kind, es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, ſie dringt nicht mehr in meine Augen.“ „Aber dann doch im Sommer, Großmutter“, ſagte Heidi immer ängſtlicher nach einem guten Ausweg ſuchend,

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/71>, abgerufen am 23.11.2024.