Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

fertig über Alles weghüpfend, die andern bedächtlich die
guten Kräutlein suchend unterwegs, der Türk hie und da
seine Angriffe probierend. Schwänli und Bärli kletterten
hübsch und leicht hinan und fanden oben sogleich die schön¬
sten Büsche, stellten sich geschickt daran auf und nagten sie
zierlich ab. Heidi stand mit den Händen auf dem Rücken
und schaute dem Allem mit der größten Aufmerksamkeit zu.

"Peter", bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden
Liegenden, "die schönsten von allen sind das Schwänli und
das Bärli."

"Weiß schon", war die Antwort. "Der Alm-Oehi putzt
und wäscht sie und giebt ihnen Salz und hat den schönsten
Stall."

Aber auf einmal sprang Peter auf und setzte in großen
Sprüngen den Gaißen nach, und das Heidi lief hinterdrein,
da mußte Etwas begegnet sein, es konnte da nicht zurück¬
bleiben. Der Peter sprang durch den Gaißenrudel durch
der Seite der Alm zu, wo die Felsen schroff und kahl
weit hinabsteigen und ein unbesonnenes Gaißlein, wenn es
dorthin ging, leicht hinunterstürzen und alle Beine brechen
konnte. Er hatte gesehen, wie der vorwitzige Distelfink nach
jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht,
denn eben sprang das Gaißlein dem Rande des Abgrunds
zu. Peter wollte es eben packen, da stürzte er auf den
Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Thier¬
leins erwischen und es daran festhalten. Der Distelfink

fertig über Alles weghüpfend, die andern bedächtlich die
guten Kräutlein ſuchend unterwegs, der Türk hie und da
ſeine Angriffe probierend. Schwänli und Bärli kletterten
hübſch und leicht hinan und fanden oben ſogleich die ſchön¬
ſten Büſche, ſtellten ſich geſchickt daran auf und nagten ſie
zierlich ab. Heidi ſtand mit den Händen auf dem Rücken
und ſchaute dem Allem mit der größten Aufmerkſamkeit zu.

„Peter“, bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden
Liegenden, „die ſchönſten von allen ſind das Schwänli und
das Bärli.“

„Weiß ſchon“, war die Antwort. „Der Alm-Oehi putzt
und wäſcht ſie und giebt ihnen Salz und hat den ſchönſten
Stall.“

Aber auf einmal ſprang Peter auf und ſetzte in großen
Sprüngen den Gaißen nach, und das Heidi lief hinterdrein,
da mußte Etwas begegnet ſein, es konnte da nicht zurück¬
bleiben. Der Peter ſprang durch den Gaißenrudel durch
der Seite der Alm zu, wo die Felſen ſchroff und kahl
weit hinabſteigen und ein unbeſonnenes Gaißlein, wenn es
dorthin ging, leicht hinunterſtürzen und alle Beine brechen
konnte. Er hatte geſehen, wie der vorwitzige Diſtelfink nach
jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht,
denn eben ſprang das Gaißlein dem Rande des Abgrunds
zu. Peter wollte es eben packen, da ſtürzte er auf den
Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Thier¬
leins erwiſchen und es daran feſthalten. Der Diſtelfink

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="43"/>
fertig über Alles weghüpfend, die andern bedächtlich die<lb/>
guten Kräutlein &#x017F;uchend unterwegs, der Türk hie und da<lb/>
&#x017F;eine Angriffe probierend. Schwänli und Bärli kletterten<lb/>
hüb&#x017F;ch und leicht hinan und fanden oben &#x017F;ogleich die &#x017F;chön¬<lb/>
&#x017F;ten Bü&#x017F;che, &#x017F;tellten &#x017F;ich ge&#x017F;chickt daran auf und nagten &#x017F;ie<lb/>
zierlich ab. Heidi &#x017F;tand mit den Händen auf dem Rücken<lb/>
und &#x017F;chaute dem Allem mit der größten Aufmerk&#x017F;amkeit zu.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Peter&#x201C;, bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden<lb/>
Liegenden, &#x201E;die &#x017F;chön&#x017F;ten von allen &#x017F;ind das Schwänli und<lb/>
das Bärli.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weiß &#x017F;chon&#x201C;, war die Antwort. &#x201E;Der Alm-Oehi putzt<lb/>
und wä&#x017F;cht &#x017F;ie und giebt ihnen Salz und hat den &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
Stall.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber auf einmal &#x017F;prang Peter auf und &#x017F;etzte in großen<lb/>
Sprüngen den Gaißen nach, und das Heidi lief hinterdrein,<lb/>
da mußte Etwas begegnet &#x017F;ein, es konnte da nicht zurück¬<lb/>
bleiben. Der Peter &#x017F;prang durch den Gaißenrudel durch<lb/>
der Seite der Alm zu, wo die Fel&#x017F;en &#x017F;chroff und kahl<lb/>
weit hinab&#x017F;teigen und ein unbe&#x017F;onnenes Gaißlein, wenn es<lb/>
dorthin ging, leicht hinunter&#x017F;türzen und alle Beine brechen<lb/>
konnte. Er hatte ge&#x017F;ehen, wie der vorwitzige Di&#x017F;telfink nach<lb/>
jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht,<lb/>
denn eben &#x017F;prang das Gaißlein dem Rande des Abgrunds<lb/>
zu. Peter wollte es eben packen, da &#x017F;türzte er auf den<lb/>
Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Thier¬<lb/>
leins erwi&#x017F;chen und es daran fe&#x017F;thalten. Der Di&#x017F;telfink<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0053] fertig über Alles weghüpfend, die andern bedächtlich die guten Kräutlein ſuchend unterwegs, der Türk hie und da ſeine Angriffe probierend. Schwänli und Bärli kletterten hübſch und leicht hinan und fanden oben ſogleich die ſchön¬ ſten Büſche, ſtellten ſich geſchickt daran auf und nagten ſie zierlich ab. Heidi ſtand mit den Händen auf dem Rücken und ſchaute dem Allem mit der größten Aufmerkſamkeit zu. „Peter“, bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden Liegenden, „die ſchönſten von allen ſind das Schwänli und das Bärli.“ „Weiß ſchon“, war die Antwort. „Der Alm-Oehi putzt und wäſcht ſie und giebt ihnen Salz und hat den ſchönſten Stall.“ Aber auf einmal ſprang Peter auf und ſetzte in großen Sprüngen den Gaißen nach, und das Heidi lief hinterdrein, da mußte Etwas begegnet ſein, es konnte da nicht zurück¬ bleiben. Der Peter ſprang durch den Gaißenrudel durch der Seite der Alm zu, wo die Felſen ſchroff und kahl weit hinabſteigen und ein unbeſonnenes Gaißlein, wenn es dorthin ging, leicht hinunterſtürzen und alle Beine brechen konnte. Er hatte geſehen, wie der vorwitzige Diſtelfink nach jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht, denn eben ſprang das Gaißlein dem Rande des Abgrunds zu. Peter wollte es eben packen, da ſtürzte er auf den Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Thier¬ leins erwiſchen und es daran feſthalten. Der Diſtelfink

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/53
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/53>, abgerufen am 23.11.2024.