ab. Jetzt faltete auch er die Hände, und halblaut sagte er mit gesenktem Haupte: "Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen!" Und ein paar große Thränen rollten dem Alten die Wangen herab.
Wenige Stunden nachher in der ersten Frühe des Tages stand der Alm-Oehi vor seiner Hütte und schaute mit hellen Augen um sich. Der Sonntagmorgen flimmerte und leuchtete über Berg und Thal. Einzelne Frühglocken tönten aus den Thälern herauf, und oben in den Tannen sangen die Vögel fröhlich ihre Morgenlieder.
Jetzt trat der Großvater in die Hütte zurück: "Komm', Heidi!" rief er auf den Boden hinauf, "die Sonne ist da! Zieh' ein gutes Röcklein an, wir wollen in die Kirche mit einander!"
Heidi machte nicht lange, das war ein ganz neuer Ruf vom Großvater, dem mußte es schnell folgen. In kurzer Zeit kam es heruntergesprungen in seinem schmucken Frankfurter Röckchen. Aber voller Erstaunen blieb Heidi vor seinem Großvater stehen und schaute ihn an: "O Großvater, so hab' ich dich nie gesehen", brach es endlich aus, "und den Rock mit den silbernen Knöpfen hast du noch gar nicht getragen, o du bist so schön in deinem schönen Sonntagsrock."
Der Alte blickte vergnüglich lächelnd auf das Kind und sagte: "Und du in dem deinen; jetzt komm'." Er nahm
ab. Jetzt faltete auch er die Hände, und halblaut ſagte er mit geſenktem Haupte: „Vater, ich habe geſündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen!“ Und ein paar große Thränen rollten dem Alten die Wangen herab.
Wenige Stunden nachher in der erſten Frühe des Tages ſtand der Alm-Oehi vor ſeiner Hütte und ſchaute mit hellen Augen um ſich. Der Sonntagmorgen flimmerte und leuchtete über Berg und Thal. Einzelne Frühglocken tönten aus den Thälern herauf, und oben in den Tannen ſangen die Vögel fröhlich ihre Morgenlieder.
Jetzt trat der Großvater in die Hütte zurück: „Komm', Heidi!“ rief er auf den Boden hinauf, „die Sonne iſt da! Zieh' ein gutes Röcklein an, wir wollen in die Kirche mit einander!“
Heidi machte nicht lange, das war ein ganz neuer Ruf vom Großvater, dem mußte es ſchnell folgen. In kurzer Zeit kam es heruntergeſprungen in ſeinem ſchmucken Frankfurter Röckchen. Aber voller Erſtaunen blieb Heidi vor ſeinem Großvater ſtehen und ſchaute ihn an: „O Großvater, ſo hab' ich dich nie geſehen“, brach es endlich aus, „und den Rock mit den ſilbernen Knöpfen haſt du noch gar nicht getragen, o du biſt ſo ſchön in deinem ſchönen Sonntagsrock.“
Der Alte blickte vergnüglich lächelnd auf das Kind und ſagte: „Und du in dem deinen; jetzt komm'.“ Er nahm
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ab. Jetzt faltete auch er die Hände, und halblaut ſagte
er mit geſenktem Haupte: „Vater, ich habe geſündigt gegen
den Himmel und vor dir und bin nicht mehr werth, dein
Sohn zu heißen!“ Und ein paar große Thränen rollten
dem Alten die Wangen herab.
Wenige Stunden nachher in der erſten Frühe des Tages
ſtand der Alm-Oehi vor ſeiner Hütte und ſchaute mit hellen
Augen um ſich. Der Sonntagmorgen flimmerte und
leuchtete über Berg und Thal. Einzelne Frühglocken tönten
aus den Thälern herauf, und oben in den Tannen ſangen
die Vögel fröhlich ihre Morgenlieder.
Jetzt trat der Großvater in die Hütte zurück: „Komm',
Heidi!“ rief er auf den Boden hinauf, „die Sonne iſt da!
Zieh' ein gutes Röcklein an, wir wollen in die Kirche mit
einander!“
Heidi machte nicht lange, das war ein ganz neuer Ruf
vom Großvater, dem mußte es ſchnell folgen. In kurzer
Zeit kam es heruntergeſprungen in ſeinem ſchmucken
Frankfurter Röckchen. Aber voller Erſtaunen blieb Heidi
vor ſeinem Großvater ſtehen und ſchaute ihn an: „O
Großvater, ſo hab' ich dich nie geſehen“, brach es endlich
aus, „und den Rock mit den ſilbernen Knöpfen haſt du
noch gar nicht getragen, o du biſt ſo ſchön in deinem
ſchönen Sonntagsrock.“
Der Alte blickte vergnüglich lächelnd auf das Kind und
ſagte: „Und du in dem deinen; jetzt komm'.“ Er nahm
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/241>, abgerufen am 17.02.2025.
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