Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880."Er soll nur gleich hereinkommen", sagte sie, "nicht Der Junge war schon eingetreten, und nach Anweisung "Aufhören! Sofort aufhören!" rief Fräulein Rotten¬ „Er ſoll nur gleich hereinkommen“, ſagte ſie, „nicht Der Junge war ſchon eingetreten, und nach Anweiſung „Aufhören! Sofort aufhören!“ rief Fräulein Rotten¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0136" n="126"/> <p>„Er ſoll nur gleich hereinkommen“, ſagte ſie, „nicht<lb/> wahr, Herr Candidat? wenn er doch mit mir ſelbſt ſprechen<lb/> muß.“</p><lb/> <p>Der Junge war ſchon eingetreten, und nach Anweiſung<lb/> fing er ſofort ſeine Orgel zu drehen an. Fräulein Rotten¬<lb/> meier hatte, um dem ABC auszuweichen, ſich im Eßzimmer<lb/> Allerlei zu ſchaffen gemacht. Auf einmal horchte ſie auf. —<lb/> Kamen die Töne von der Straße her? Aber ſo nahe?<lb/> Wie konnte vom Studierzimmer her eine Drehorgel er¬<lb/> tönen? Und dennoch — wahrhaftig — ſie ſtürzte durch<lb/> das lange Eßzimmer und riß die Thüre auf. Da — un¬<lb/> glaublich — da ſtand mitten im Studierzimmer ein zer¬<lb/> lumpter Orgelſpieler und drehte ſein Inſtrument mit größter<lb/> Emſigkeit. Der Herr Candidat ſchien immerfort Etwas<lb/> ſagen zu wollen, aber es wurde Nichts vernommen. Klara<lb/> und Heidi hörten mit ganz erfreuten Geſichtern der Mu¬<lb/> ſik zu.</p><lb/> <p>„Aufhören! Sofort aufhören!“ rief Fräulein Rotten¬<lb/> meier in's Zimmer hinein. Ihre Stimme wurde übertönt<lb/> von der Muſik. Jetzt lief ſie auf den Jungen zu — aber<lb/> auf einmal hatte ſie Etwas zwiſchen den Füßen, ſie ſah auf<lb/> den Boden — ein grauſiges, ſchwarzes Thier kroch ihr<lb/> zwiſchen den Füßen durch, eine Schildkröte. Jetzt that Fräu¬<lb/> lein Rottenmeier einen Sprung in die Höhe, wie ſie ſeit<lb/> vielen Jahren keinen gethan hatte, dann ſchrie ſie aus Leibes¬<lb/> kräften: „Sebaſtian! Sebaſtian!“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [126/0136]
„Er ſoll nur gleich hereinkommen“, ſagte ſie, „nicht
wahr, Herr Candidat? wenn er doch mit mir ſelbſt ſprechen
muß.“
Der Junge war ſchon eingetreten, und nach Anweiſung
fing er ſofort ſeine Orgel zu drehen an. Fräulein Rotten¬
meier hatte, um dem ABC auszuweichen, ſich im Eßzimmer
Allerlei zu ſchaffen gemacht. Auf einmal horchte ſie auf. —
Kamen die Töne von der Straße her? Aber ſo nahe?
Wie konnte vom Studierzimmer her eine Drehorgel er¬
tönen? Und dennoch — wahrhaftig — ſie ſtürzte durch
das lange Eßzimmer und riß die Thüre auf. Da — un¬
glaublich — da ſtand mitten im Studierzimmer ein zer¬
lumpter Orgelſpieler und drehte ſein Inſtrument mit größter
Emſigkeit. Der Herr Candidat ſchien immerfort Etwas
ſagen zu wollen, aber es wurde Nichts vernommen. Klara
und Heidi hörten mit ganz erfreuten Geſichtern der Mu¬
ſik zu.
„Aufhören! Sofort aufhören!“ rief Fräulein Rotten¬
meier in's Zimmer hinein. Ihre Stimme wurde übertönt
von der Muſik. Jetzt lief ſie auf den Jungen zu — aber
auf einmal hatte ſie Etwas zwiſchen den Füßen, ſie ſah auf
den Boden — ein grauſiges, ſchwarzes Thier kroch ihr
zwiſchen den Füßen durch, eine Schildkröte. Jetzt that Fräu¬
lein Rottenmeier einen Sprung in die Höhe, wie ſie ſeit
vielen Jahren keinen gethan hatte, dann ſchrie ſie aus Leibes¬
kräften: „Sebaſtian! Sebaſtian!“
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