"Du bist, denk' ich, nicht recht im Kopf! Wie weißt du überhaupt, daß ein Fräulein Klara hier ist?"
"Gestern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig und dann wieder zurück den Weg gezeigt, macht vierzig."
"Da siehst du, was für Zeug du zusammenflunkerst, Fräulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mach, daß du dahin kommst, wo du hin gehörst', bevor ich dir dazu verhelfe!"
Aber der Junge ließ sich nicht einschüchtern; er blieb unbeweglich stehn und sagte trocken: "Ich habe sie doch ge¬ sehen auf der Straße, ich kann sie beschreiben: sie hat kurzes, krauses Haar, das ist schwarz, und die Augen sind schwarz und der Rock ist braun, und sie kann nicht reden wie wir."
"Oho", dachte jetzt Sebastian und kicherte in sich hinein, "das ist die kleine Mamsell, die hat wieder Etwas ange¬ stellt." Dann sagte er, den Jungen hereinziehend: "'s ist schon recht, komm' mir nur nach und warte vor der Thüre, bis ich wieder herauskomme. Wenn ich dich dann einlasse, kannst du gleich Etwas spielen, das Fräulein hört es gern."
Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde herein¬ gerufen.
"Es ist ein Junge da, der durchaus an Fräulein Klara selbst Etwas zu bestellen hat", berichtete Sebastian.
Klara war sehr erfreut über das außergewöhnliche Er¬ eigniß.
„Du biſt, denk' ich, nicht recht im Kopf! Wie weißt du überhaupt, daß ein Fräulein Klara hier iſt?“
„Geſtern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig und dann wieder zurück den Weg gezeigt, macht vierzig.“
„Da ſiehſt du, was für Zeug du zuſammenflunkerſt, Fräulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mach, daß du dahin kommſt, wo du hin gehörſt', bevor ich dir dazu verhelfe!“
Aber der Junge ließ ſich nicht einſchüchtern; er blieb unbeweglich ſtehn und ſagte trocken: „Ich habe ſie doch ge¬ ſehen auf der Straße, ich kann ſie beſchreiben: ſie hat kurzes, krauſes Haar, das iſt ſchwarz, und die Augen ſind ſchwarz und der Rock iſt braun, und ſie kann nicht reden wie wir.“
„Oho“, dachte jetzt Sebaſtian und kicherte in ſich hinein, „das iſt die kleine Mamſell, die hat wieder Etwas ange¬ ſtellt.“ Dann ſagte er, den Jungen hereinziehend: „'s iſt ſchon recht, komm' mir nur nach und warte vor der Thüre, bis ich wieder herauskomme. Wenn ich dich dann einlaſſe, kannſt du gleich Etwas ſpielen, das Fräulein hört es gern.“
Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde herein¬ gerufen.
„Es iſt ein Junge da, der durchaus an Fräulein Klara ſelbſt Etwas zu beſtellen hat“, berichtete Sebaſtian.
Klara war ſehr erfreut über das außergewöhnliche Er¬ eigniß.
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„Du biſt, denk' ich, nicht recht im Kopf! Wie weißt
du überhaupt, daß ein Fräulein Klara hier iſt?“
„Geſtern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig
und dann wieder zurück den Weg gezeigt, macht vierzig.“
„Da ſiehſt du, was für Zeug du zuſammenflunkerſt,
Fräulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen,
mach, daß du dahin kommſt, wo du hin gehörſt', bevor ich
dir dazu verhelfe!“
Aber der Junge ließ ſich nicht einſchüchtern; er blieb
unbeweglich ſtehn und ſagte trocken: „Ich habe ſie doch ge¬
ſehen auf der Straße, ich kann ſie beſchreiben: ſie hat kurzes,
krauſes Haar, das iſt ſchwarz, und die Augen ſind ſchwarz
und der Rock iſt braun, und ſie kann nicht reden wie wir.“
„Oho“, dachte jetzt Sebaſtian und kicherte in ſich hinein,
„das iſt die kleine Mamſell, die hat wieder Etwas ange¬
ſtellt.“ Dann ſagte er, den Jungen hereinziehend: „'s iſt
ſchon recht, komm' mir nur nach und warte vor der Thüre,
bis ich wieder herauskomme. Wenn ich dich dann einlaſſe,
kannſt du gleich Etwas ſpielen, das Fräulein hört es
gern.“
Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde herein¬
gerufen.
„Es iſt ein Junge da, der durchaus an Fräulein Klara
ſelbſt Etwas zu beſtellen hat“, berichtete Sebaſtian.
Klara war ſehr erfreut über das außergewöhnliche Er¬
eigniß.
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/135>, abgerufen am 24.07.2024.
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