Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.[Spaltenumbruch]
Saluia. besteht in Folgendem. An den Seiten des vordersten Theils derKronenröhre sind zwey länglichte Körper angewachsen, welche die Filamente tragen. Diese beiden Körper nebst dem untersten Theil der Filamente sieht man in Fig. 30., und noch deutlicher in Fig. 29. von vorne, und in Fig. 27. von hinten. In Fig. 31. sieht man den auf der rechten Seite befindlichen Körper nebst sei- nem Filament von innen, in Fig. 32. eben denselben, nachdem das Filament abgerissen worden, in Fig. 33. den auf der linken Seite befindlichen Körper nebst seinem Filament von außen. Die Filamente sind an ihrer Basis mit breiten Ansätzen versehen, welche wie ein halbes Herz gestaltet sind, sich vorwärts umbiegen, und vorne, wo sie am schmälsten sind, zusammengewachsen sind. Die Stelle, wo sie zusammengewachsen sind, sieht wie verbrannt aus. Diese Farbe scheint in einem gewissen Zusammenhange mit der Zähigkeit und Festigkeit zu stehen, welche die Ansätze an dieser Stelle haben. Denn man muß, um sie von einander zu reißen, eine grössere Kraft anwenden, als man bey einem so dünnen Kör- per für nöthig halten sollte. Ueberhaupt finde ich, daß diejenigen Theile mancher Blumen, welche besonders fest und stark sind, dunkelfarbig oder schwarz sind. Warum aber die Ansätze an die- ser Stelle besonders zähe und fest sind, wird man bald einsehen. Vermittelst dieser Ansätze nun füllen die Filamente die Oeffnung der Kronenröhre größtentheils aus, und verhindern einen jeden Regentropfen, welcher sich dieser Oeffnung genähert hat, in die Kronenröhre hineinzudringen. Wenn aber eine Hummel die Blume besucht, so scheint es zwar, daß auch ihr das Eindringen in den Safthalter durch die Saftdecke verwehret werde; weil sie aber vor derselben das Saftmaal sieht, und wohl weiß, daß das- selbe den rechten Weg zum Safthalter weiset: so kehrt sie sich an jenen Schein nicht, sondern folgt diesem sicheren Wegweiser, kriecht hinein, und bemerkt mit Vergnügen, daß sie die Saftdecke vor sich her und in die Höhe stößt. Dadurch erhält der unterste Theil der Filamente, welcher vorher aufrecht stand, Fig. 31., eine horizontale Stellung, Fig. 42. Nachdem sie nun den Saft- vorrath verzehrt hat, so kriecht sie wieder rückwärts heraus. Als- denn springt der unterste Theil der Filamente in seine vorige Stellung zurück, und die Saftdecke verschließt die Oeffnung der Kronenröhre, wie vorher. Da nun der vorderste schmälste Theil der Saftdecke dem An- Saluia. 4. Die Pflanze treibt aufrechtstehende Stengel, welche zwey Die gewölbte Oberlippe der Krone ist von der Seite gesehen 5. Warum sondert nun diese Blume Saft ab? Warum Wenn die Blume auf eine mechanische Art befruchtet wird, Der Augenschein lehrt, daß hieran gar nicht zu denken sey. Da also die Blume nicht auf eine mechanische Art befruchtet [Spaltenumbruch]
Saluia. beſteht in Folgendem. An den Seiten des vorderſten Theils derKronenroͤhre ſind zwey laͤnglichte Koͤrper angewachſen, welche die Filamente tragen. Dieſe beiden Koͤrper nebſt dem unterſten Theil der Filamente ſieht man in Fig. 30., und noch deutlicher in Fig. 29. von vorne, und in Fig. 27. von hinten. In Fig. 31. ſieht man den auf der rechten Seite befindlichen Koͤrper nebſt ſei- nem Filament von innen, in Fig. 32. eben denſelben, nachdem das Filament abgeriſſen worden, in Fig. 33. den auf der linken Seite befindlichen Koͤrper nebſt ſeinem Filament von außen. Die Filamente ſind an ihrer Baſis mit breiten Anſaͤtzen verſehen, welche wie ein halbes Herz geſtaltet ſind, ſich vorwaͤrts umbiegen, und vorne, wo ſie am ſchmaͤlſten ſind, zuſammengewachſen ſind. Die Stelle, wo ſie zuſammengewachſen ſind, ſieht wie verbrannt aus. Dieſe Farbe ſcheint in einem gewiſſen Zuſammenhange mit der Zaͤhigkeit und Feſtigkeit zu ſtehen, welche die Anſaͤtze an dieſer Stelle haben. Denn man muß, um ſie von einander zu reißen, eine groͤſſere Kraft anwenden, als man bey einem ſo duͤnnen Koͤr- per fuͤr noͤthig halten ſollte. Ueberhaupt finde ich, daß diejenigen Theile mancher Blumen, welche beſonders feſt und ſtark ſind, dunkelfarbig oder ſchwarz ſind. Warum aber die Anſaͤtze an die- ſer Stelle beſonders zaͤhe und feſt ſind, wird man bald einſehen. Vermittelſt dieſer Anſaͤtze nun fuͤllen die Filamente die Oeffnung der Kronenroͤhre groͤßtentheils aus, und verhindern einen jeden Regentropfen, welcher ſich dieſer Oeffnung genaͤhert hat, in die Kronenroͤhre hineinzudringen. Wenn aber eine Hummel die Blume beſucht, ſo ſcheint es zwar, daß auch ihr das Eindringen in den Safthalter durch die Saftdecke verwehret werde; weil ſie aber vor derſelben das Saftmaal ſieht, und wohl weiß, daß daſ- ſelbe den rechten Weg zum Safthalter weiſet: ſo kehrt ſie ſich an jenen Schein nicht, ſondern folgt dieſem ſicheren Wegweiſer, kriecht hinein, und bemerkt mit Vergnuͤgen, daß ſie die Saftdecke vor ſich her und in die Hoͤhe ſtoͤßt. Dadurch erhaͤlt der unterſte Theil der Filamente, welcher vorher aufrecht ſtand, Fig. 31., eine horizontale Stellung, Fig. 42. Nachdem ſie nun den Saft- vorrath verzehrt hat, ſo kriecht ſie wieder ruͤckwaͤrts heraus. Als- denn ſpringt der unterſte Theil der Filamente in ſeine vorige Stellung zuruͤck, und die Saftdecke verſchließt die Oeffnung der Kronenroͤhre, wie vorher. Da nun der vorderſte ſchmaͤlſte Theil der Saftdecke dem An- Saluia. 4. Die Pflanze treibt aufrechtſtehende Stengel, welche zwey Die gewoͤlbte Oberlippe der Krone iſt von der Seite geſehen 5. Warum ſondert nun dieſe Blume Saft ab? Warum Wenn die Blume auf eine mechaniſche Art befruchtet wird, Der Augenſchein lehrt, daß hieran gar nicht zu denken ſey. Da alſo die Blume nicht auf eine mechaniſche Art befruchtet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0042" n="[42]"/><cb n="59"/><lb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">Saluia.</hi></fw><lb/> beſteht in Folgendem. An den Seiten des vorderſten Theils der<lb/> Kronenroͤhre ſind zwey laͤnglichte Koͤrper angewachſen, welche die<lb/> Filamente tragen. Dieſe beiden Koͤrper nebſt dem unterſten Theil<lb/> der Filamente ſieht man in Fig. 30., und noch deutlicher in<lb/> Fig. 29. von vorne, und in Fig. 27. von hinten. 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Warum koͤnnen dem-<lb/> ungeachtet die Hummeln ſehr leicht zu demſelben gelangen?<lb/> Warum iſt endlich dafuͤr geſorgt, daß die Hummeln ſowohl die<lb/> Blumen von weitem leicht gewahr werden, als auch, wann ſie<lb/> ſich auf dieſelben geſetzt haben, ſogleich merken, wo der Saft ſich<lb/> befindet? Bezieht ſich dieſes alles bloß auf die Hummeln, und<lb/> hat die Blume ſelbſt davon keinen Nutzen?</p><lb/> <p>Wenn die Blume auf eine mechaniſche Art befruchtet wird,<lb/> ſo hat ſie von dem allen keinen Nutzen. Es fraͤgt ſich alſo, ob<lb/> ſie auf eine mechaniſche Art befruchtet wird.</p><lb/> <p>Der Augenſchein lehrt, daß hieran gar nicht zu denken ſey.<lb/> In Fig. 18. zeigt die punktirte Linie die Stellung der Staubge-<lb/> faͤße an. Von dem Staube der Antheren kann nicht der kleinſte<lb/> Theil auf das Stigma fallen, oder durch den Wind gefuͤhrt wer-<lb/> den. 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Saluia.
Saluia.
beſteht in Folgendem. An den Seiten des vorderſten Theils der
Kronenroͤhre ſind zwey laͤnglichte Koͤrper angewachſen, welche die
Filamente tragen. Dieſe beiden Koͤrper nebſt dem unterſten Theil
der Filamente ſieht man in Fig. 30., und noch deutlicher in
Fig. 29. von vorne, und in Fig. 27. von hinten. In Fig. 31.
ſieht man den auf der rechten Seite befindlichen Koͤrper nebſt ſei-
nem Filament von innen, in Fig. 32. eben denſelben, nachdem
das Filament abgeriſſen worden, in Fig. 33. den auf der linken
Seite befindlichen Koͤrper nebſt ſeinem Filament von außen. Die
Filamente ſind an ihrer Baſis mit breiten Anſaͤtzen verſehen,
welche wie ein halbes Herz geſtaltet ſind, ſich vorwaͤrts umbiegen,
und vorne, wo ſie am ſchmaͤlſten ſind, zuſammengewachſen ſind.
Die Stelle, wo ſie zuſammengewachſen ſind, ſieht wie verbrannt
aus. Dieſe Farbe ſcheint in einem gewiſſen Zuſammenhange mit
der Zaͤhigkeit und Feſtigkeit zu ſtehen, welche die Anſaͤtze an dieſer
Stelle haben. Denn man muß, um ſie von einander zu reißen,
eine groͤſſere Kraft anwenden, als man bey einem ſo duͤnnen Koͤr-
per fuͤr noͤthig halten ſollte. Ueberhaupt finde ich, daß diejenigen
Theile mancher Blumen, welche beſonders feſt und ſtark ſind,
dunkelfarbig oder ſchwarz ſind. Warum aber die Anſaͤtze an die-
ſer Stelle beſonders zaͤhe und feſt ſind, wird man bald einſehen.
Vermittelſt dieſer Anſaͤtze nun fuͤllen die Filamente die Oeffnung
der Kronenroͤhre groͤßtentheils aus, und verhindern einen jeden
Regentropfen, welcher ſich dieſer Oeffnung genaͤhert hat, in die
Kronenroͤhre hineinzudringen. Wenn aber eine Hummel die
Blume beſucht, ſo ſcheint es zwar, daß auch ihr das Eindringen
in den Safthalter durch die Saftdecke verwehret werde; weil ſie
aber vor derſelben das Saftmaal ſieht, und wohl weiß, daß daſ-
ſelbe den rechten Weg zum Safthalter weiſet: ſo kehrt ſie ſich an
jenen Schein nicht, ſondern folgt dieſem ſicheren Wegweiſer,
kriecht hinein, und bemerkt mit Vergnuͤgen, daß ſie die Saftdecke
vor ſich her und in die Hoͤhe ſtoͤßt. Dadurch erhaͤlt der unterſte
Theil der Filamente, welcher vorher aufrecht ſtand, Fig. 31.,
eine horizontale Stellung, Fig. 42. Nachdem ſie nun den Saft-
vorrath verzehrt hat, ſo kriecht ſie wieder ruͤckwaͤrts heraus. Als-
denn ſpringt der unterſte Theil der Filamente in ſeine vorige
Stellung zuruͤck, und die Saftdecke verſchließt die Oeffnung der
Kronenroͤhre, wie vorher.
Da nun der vorderſte ſchmaͤlſte Theil der Saftdecke dem An-
lauf der Hummel am meiſten ausgeſetzt iſt, ſo mußte er beſonders
zaͤhe und feſt ſeyn, damit er nicht von derſelben zerriſſen werde.
Nicht ſo feſt, als hier mit einander, hangen die Filamente mit den
laͤnglichten Koͤrpern, auf welchen ſie ruhen, zuſammen. Daher
koͤmmt es, daß, wenn eine Blume von den Hummeln ſehr oft
beſucht wird, die Filamente endlich abreißen.
4. Die Pflanze treibt aufrechtſtehende Stengel, welche zwey
Fuß hoch und noch hoͤher ſind. Unterwaͤrts haben dieſelben groſſe
Blaͤtter und keine Blumen, oberwaͤrts aber Blumen und ſehr
kleine Blaͤtter. Die letztern ſind deswegen nicht groͤſſer, weil
ſie ſonſt verurſachen wuͤrden, daß die Blumen von den Hummeln
in der Ferne weniger bemerkt wuͤrden. Die anſehnlichen Blumen
ſchmuͤcken ungefaͤhr die Haͤlfte des Stengels, und ſitzen an dem-
ſelben vermittelſt ſehr kurzer Stiele in ungefaͤhr zwoͤlf Quirlen,
und bilden alſo eine quirlfoͤrmige Aehre (ſpica verticillata). Da
nun beynahe die Haͤlfte der Quirle zu gleicher Zeit bluͤhet, ſo fal-
len die bluͤhenden Pflanzen den Hummeln ſchon in großer Ent-
fernung in die Augen. Zu dem Ende mußten die Blumen eine
horizontale Stellung haben. Die Krone iſt dunkelblau, hat aber
auf der Unterlippe vor der Saftdecke einen purpurfarbenen Fleck,
welcher das Saftmaal iſt.
Die gewoͤlbte Oberlippe der Krone iſt von der Seite geſehen
ſehr breit, Fig. 18., von vorne geſehen aber ſehr ſchmal, Fig. 28.
Beides verurſacht, daß die innerhalb derſelben befindlichen An-
theren gegen den Regen voͤllig geſichert ſind, letzteres aber, daß
ſie die Oeffnung der Kronenroͤhre nicht vor dem Regen ſchuͤtzen
kann, welches ſie bey andern Blumen zu thun pflegt. Dies ſoll
ſie aber auch hier nicht thun, weil die Saftdecke dieſe Oeffnung
ſchon hinlaͤnglich verſchließt.
5. Warum ſondert nun dieſe Blume Saft ab? Warum
wird dieſer Saft durch eine ſo kuͤnſtliche Einrichtung vor dem Re-
gen geſchuͤtzt, damit er nicht von demſelben verdorben und fuͤr die
Hummeln ungenießbar gemacht werde? Warum koͤnnen dem-
ungeachtet die Hummeln ſehr leicht zu demſelben gelangen?
Warum iſt endlich dafuͤr geſorgt, daß die Hummeln ſowohl die
Blumen von weitem leicht gewahr werden, als auch, wann ſie
ſich auf dieſelben geſetzt haben, ſogleich merken, wo der Saft ſich
befindet? Bezieht ſich dieſes alles bloß auf die Hummeln, und
hat die Blume ſelbſt davon keinen Nutzen?
Wenn die Blume auf eine mechaniſche Art befruchtet wird,
ſo hat ſie von dem allen keinen Nutzen. Es fraͤgt ſich alſo, ob
ſie auf eine mechaniſche Art befruchtet wird.
Der Augenſchein lehrt, daß hieran gar nicht zu denken ſey.
In Fig. 18. zeigt die punktirte Linie die Stellung der Staubge-
faͤße an. Von dem Staube der Antheren kann nicht der kleinſte
Theil auf das Stigma fallen, oder durch den Wind gefuͤhrt wer-
den. Denn die Raͤnder der Oberlippe ſchließen dicht an einander,
Fig. 28.
Da alſo die Blume nicht auf eine mechaniſche Art befruchtet
werden kann, ſo muß ſie entweder unbefruchtet bleiben, welches
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