Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.trotz der elenden Witterung noch in der Nacht meine Reise fortzusetzen. -- Und als die Wirthin voll Mitleids hinging, nach dem kranken Kinde zu sehen, das auf dem Schooß seiner starrblickenden und stummen Mutter lag, fuhr der Mann fort: Ihr habt wohl seit manchen Jahren keine so betrübte Familie beherbergt, liebe Frau. Laßt Euch sagen: Wir sind im Frieden aus Mähren davon gereis't und mußten hier im Lande den Krieg finden! Ist das nicht ein Unglück? Doch würde das nichts ausmachen, denn ich fahre ja meiner Heimath entgegen, und meine Sehnsucht nach ihr ist ungemessen; aber da hat im Salzburgischen der Tod zwei meiner Kinder ins Himmelreich geführt, und das war ein harter Schlag für mich: ein doppelt harter für die Mutter. -- Die Genannte erhob die dunkeln, schwermuthsvollen Augen wie mit einem bittern Vorwurf gegen ihren Mann, sagte aber kein Wort und versank wieder in die Betrachtung des von Gichtern geschüttelten Knaben. -- Der Mann strich sich die ergrauenden Haare verlegen aus der Stirne und sprach zum Wirth, abseits tretend: Ist kein Doctor im Ort? Der kleine Johann kommt mir wunderlich vor, und auch die Frau könnte eine zweckmäßige Hülfe wohl brauchen. Der Wirth verneinte, die Achseln zuckend. In Bludenz sei ein Wundarzt, meinte er. -- So lassen wir's bis dorthin, versetzte der Reisende; mir blutet das Herz, weil der Knab' so leidet, und weil die Mutter sich schier hinterdenkt; aber ich kann's in trotz der elenden Witterung noch in der Nacht meine Reise fortzusetzen. — Und als die Wirthin voll Mitleids hinging, nach dem kranken Kinde zu sehen, das auf dem Schooß seiner starrblickenden und stummen Mutter lag, fuhr der Mann fort: Ihr habt wohl seit manchen Jahren keine so betrübte Familie beherbergt, liebe Frau. Laßt Euch sagen: Wir sind im Frieden aus Mähren davon gereis't und mußten hier im Lande den Krieg finden! Ist das nicht ein Unglück? Doch würde das nichts ausmachen, denn ich fahre ja meiner Heimath entgegen, und meine Sehnsucht nach ihr ist ungemessen; aber da hat im Salzburgischen der Tod zwei meiner Kinder ins Himmelreich geführt, und das war ein harter Schlag für mich: ein doppelt harter für die Mutter. — Die Genannte erhob die dunkeln, schwermuthsvollen Augen wie mit einem bittern Vorwurf gegen ihren Mann, sagte aber kein Wort und versank wieder in die Betrachtung des von Gichtern geschüttelten Knaben. — Der Mann strich sich die ergrauenden Haare verlegen aus der Stirne und sprach zum Wirth, abseits tretend: Ist kein Doctor im Ort? Der kleine Johann kommt mir wunderlich vor, und auch die Frau könnte eine zweckmäßige Hülfe wohl brauchen. Der Wirth verneinte, die Achseln zuckend. In Bludenz sei ein Wundarzt, meinte er. — So lassen wir's bis dorthin, versetzte der Reisende; mir blutet das Herz, weil der Knab' so leidet, und weil die Mutter sich schier hinterdenkt; aber ich kann's in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> trotz der elenden Witterung noch in der Nacht meine Reise fortzusetzen. — Und als die Wirthin voll Mitleids hinging, nach dem kranken Kinde zu sehen, das auf dem Schooß seiner starrblickenden und stummen Mutter lag, fuhr der Mann fort: Ihr habt wohl seit manchen Jahren keine so betrübte Familie beherbergt, liebe Frau. Laßt Euch sagen: Wir sind im Frieden aus Mähren davon gereis't und mußten hier im Lande den Krieg finden! Ist das nicht ein Unglück? Doch würde das nichts ausmachen, denn ich fahre ja meiner Heimath entgegen, und meine Sehnsucht nach ihr ist ungemessen; aber da hat im Salzburgischen der Tod zwei meiner Kinder ins Himmelreich geführt, und das war ein harter Schlag für mich: ein doppelt harter für die Mutter. — Die Genannte erhob die dunkeln, schwermuthsvollen Augen wie mit einem bittern Vorwurf gegen ihren Mann, sagte aber kein Wort und versank wieder in die Betrachtung des von Gichtern geschüttelten Knaben. — Der Mann strich sich die ergrauenden Haare verlegen aus der Stirne und sprach zum Wirth, abseits tretend: Ist kein Doctor im Ort? Der kleine Johann kommt mir wunderlich vor, und auch die Frau könnte eine zweckmäßige Hülfe wohl brauchen. Der Wirth verneinte, die Achseln zuckend. In Bludenz sei ein Wundarzt, meinte er. — So lassen wir's bis dorthin, versetzte der Reisende; mir blutet das Herz, weil der Knab' so leidet, und weil die Mutter sich schier hinterdenkt; aber ich kann's in<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
trotz der elenden Witterung noch in der Nacht meine Reise fortzusetzen. — Und als die Wirthin voll Mitleids hinging, nach dem kranken Kinde zu sehen, das auf dem Schooß seiner starrblickenden und stummen Mutter lag, fuhr der Mann fort: Ihr habt wohl seit manchen Jahren keine so betrübte Familie beherbergt, liebe Frau. Laßt Euch sagen: Wir sind im Frieden aus Mähren davon gereis't und mußten hier im Lande den Krieg finden! Ist das nicht ein Unglück? Doch würde das nichts ausmachen, denn ich fahre ja meiner Heimath entgegen, und meine Sehnsucht nach ihr ist ungemessen; aber da hat im Salzburgischen der Tod zwei meiner Kinder ins Himmelreich geführt, und das war ein harter Schlag für mich: ein doppelt harter für die Mutter. — Die Genannte erhob die dunkeln, schwermuthsvollen Augen wie mit einem bittern Vorwurf gegen ihren Mann, sagte aber kein Wort und versank wieder in die Betrachtung des von Gichtern geschüttelten Knaben. — Der Mann strich sich die ergrauenden Haare verlegen aus der Stirne und sprach zum Wirth, abseits tretend: Ist kein Doctor im Ort? Der kleine Johann kommt mir wunderlich vor, und auch die Frau könnte eine zweckmäßige Hülfe wohl brauchen. Der Wirth verneinte, die Achseln zuckend. In Bludenz sei ein Wundarzt, meinte er. — So lassen wir's bis dorthin, versetzte der Reisende; mir blutet das Herz, weil der Knab' so leidet, und weil die Mutter sich schier hinterdenkt; aber ich kann's in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:06:51Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:06:51Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |