Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ergriffen, und wendete sich von der Kranken, die wieder in ihre Apathie zurücksank. Da blickte das Mädchen ins Angesicht eines Gastwirths aus dem Flecken, der mit Rüttimann's nah verwandt war und als ein steifer gleichmüthiger Abgesandter anhob: Jungfer Hagenbach, der Landweibel hat viel von Euerm Vater gehört, das ihm nicht gefällt, und weil's noch Zeit ist, schickt er Euch den Ring zurück, den Ihr seinem Sohn gegeben, und ich soll des Bläsi seinen mitbringen, wenn Ihr so gut sein wollt, ihn abzuthun. -- Nach einigem Stutzen des überraschten Mädchens flog das unliebe Kleinod geschwinde in die Hand des unhöflichen Mahners. -- Verena's erstes Gefühl war das der Freude; einem vom Tode Begnadigten kann nicht wohler ums Herz sein. Ihre erste Handlung war, auf die Kniee zu sinken und Gott inbrünstig zu danken. -- Aber, bei näherer Ueberlegung ... so eng schmiegen sich die Ketten des Brauchs und Herkommens selbst um das nach Freiheit lechzende Herz... beim nähern Anschauen ihrer Lage weinte sie vor Schmerz! Denn nur eine unendliche Kränkung, eine Demüthigung, im Lande schier ohne Beispiel, hatte sie von der gefürchteten Sclaverei errettet. Willkommener wären ihr die Fesseln gewesen, als die Entlassung, welche sie dem Spott des Volkes, den Unbilden aller geschwätzigen Zungen preisgab. -- Was ihr Vater bei dem Anlaß empfand und unverhohlen aussprach, war nicht geeignet, sie zu beruhigen. Er sah sich im Kinde entehrt, alle seine Hoffnungen, ergriffen, und wendete sich von der Kranken, die wieder in ihre Apathie zurücksank. Da blickte das Mädchen ins Angesicht eines Gastwirths aus dem Flecken, der mit Rüttimann's nah verwandt war und als ein steifer gleichmüthiger Abgesandter anhob: Jungfer Hagenbach, der Landweibel hat viel von Euerm Vater gehört, das ihm nicht gefällt, und weil's noch Zeit ist, schickt er Euch den Ring zurück, den Ihr seinem Sohn gegeben, und ich soll des Bläsi seinen mitbringen, wenn Ihr so gut sein wollt, ihn abzuthun. — Nach einigem Stutzen des überraschten Mädchens flog das unliebe Kleinod geschwinde in die Hand des unhöflichen Mahners. — Verena's erstes Gefühl war das der Freude; einem vom Tode Begnadigten kann nicht wohler ums Herz sein. Ihre erste Handlung war, auf die Kniee zu sinken und Gott inbrünstig zu danken. — Aber, bei näherer Ueberlegung ... so eng schmiegen sich die Ketten des Brauchs und Herkommens selbst um das nach Freiheit lechzende Herz... beim nähern Anschauen ihrer Lage weinte sie vor Schmerz! Denn nur eine unendliche Kränkung, eine Demüthigung, im Lande schier ohne Beispiel, hatte sie von der gefürchteten Sclaverei errettet. Willkommener wären ihr die Fesseln gewesen, als die Entlassung, welche sie dem Spott des Volkes, den Unbilden aller geschwätzigen Zungen preisgab. — Was ihr Vater bei dem Anlaß empfand und unverhohlen aussprach, war nicht geeignet, sie zu beruhigen. Er sah sich im Kinde entehrt, alle seine Hoffnungen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0031"/> ergriffen, und wendete sich von der Kranken, die wieder in ihre Apathie zurücksank. Da blickte das Mädchen ins Angesicht eines Gastwirths aus dem Flecken, der mit Rüttimann's nah verwandt war und als ein steifer gleichmüthiger Abgesandter anhob: Jungfer Hagenbach, der Landweibel hat viel von Euerm Vater gehört, das ihm nicht gefällt, und weil's noch Zeit ist, schickt er Euch den Ring zurück, den Ihr seinem Sohn gegeben, und ich soll des Bläsi seinen mitbringen, wenn Ihr so gut sein wollt, ihn abzuthun. — Nach einigem Stutzen des überraschten Mädchens flog das unliebe Kleinod geschwinde in die Hand des unhöflichen Mahners. — Verena's erstes Gefühl war das der Freude; einem vom Tode Begnadigten kann nicht wohler ums Herz sein. Ihre erste Handlung war, auf die Kniee zu sinken und Gott inbrünstig zu danken. — Aber, bei näherer Ueberlegung ... so eng schmiegen sich die Ketten des Brauchs und Herkommens selbst um das nach Freiheit lechzende Herz... beim nähern Anschauen ihrer Lage weinte sie vor Schmerz! Denn nur eine unendliche Kränkung, eine Demüthigung, im Lande schier ohne Beispiel, hatte sie von der gefürchteten Sclaverei errettet. Willkommener wären ihr die Fesseln gewesen, als die Entlassung, welche sie dem Spott des Volkes, den Unbilden aller geschwätzigen Zungen preisgab. — Was ihr Vater bei dem Anlaß empfand und unverhohlen aussprach, war nicht geeignet, sie zu beruhigen. Er sah sich im Kinde entehrt, alle seine Hoffnungen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
ergriffen, und wendete sich von der Kranken, die wieder in ihre Apathie zurücksank. Da blickte das Mädchen ins Angesicht eines Gastwirths aus dem Flecken, der mit Rüttimann's nah verwandt war und als ein steifer gleichmüthiger Abgesandter anhob: Jungfer Hagenbach, der Landweibel hat viel von Euerm Vater gehört, das ihm nicht gefällt, und weil's noch Zeit ist, schickt er Euch den Ring zurück, den Ihr seinem Sohn gegeben, und ich soll des Bläsi seinen mitbringen, wenn Ihr so gut sein wollt, ihn abzuthun. — Nach einigem Stutzen des überraschten Mädchens flog das unliebe Kleinod geschwinde in die Hand des unhöflichen Mahners. — Verena's erstes Gefühl war das der Freude; einem vom Tode Begnadigten kann nicht wohler ums Herz sein. Ihre erste Handlung war, auf die Kniee zu sinken und Gott inbrünstig zu danken. — Aber, bei näherer Ueberlegung ... so eng schmiegen sich die Ketten des Brauchs und Herkommens selbst um das nach Freiheit lechzende Herz... beim nähern Anschauen ihrer Lage weinte sie vor Schmerz! Denn nur eine unendliche Kränkung, eine Demüthigung, im Lande schier ohne Beispiel, hatte sie von der gefürchteten Sclaverei errettet. Willkommener wären ihr die Fesseln gewesen, als die Entlassung, welche sie dem Spott des Volkes, den Unbilden aller geschwätzigen Zungen preisgab. — Was ihr Vater bei dem Anlaß empfand und unverhohlen aussprach, war nicht geeignet, sie zu beruhigen. Er sah sich im Kinde entehrt, alle seine Hoffnungen,
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Zitationshilfe: | Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/31>, abgerufen am 27.07.2024. |