Wohlthat danken, und zugleich melden ließ, daß er morgen das Haus der Strafe verlassen würde. Er wird, fügte die Alte hinzu, zu einer alten Muhme ziehen, und wenn er sich anständig gekleidet hat, es wagen, sie dahin einzuladen, um ihnen mündlich danken zu können.
Sophie harrte dieser Nachricht mit der Ungeduld der Liebenden entgegen. Sie hatte ihren Wilhelm würklich durch drei volle Jahre nicht gesehen, er mußte immer im Hofe des Zuchthauses arbeiten, sie konnte sich nicht da- hin wagen, weil man jedem jungen Mädchen den Zutritt dahi[n] verweigerte, und der Ver- lust ihres Dienstes ganz sicher erfolgt wäre, wenn nur ein Versuch dieser Art wäre verra- then worden. Man denke sich nun die Sehn- sucht, das peinigende, heischende Verlangen des liebenden Mädchens!
Wohlthat danken, und zugleich melden ließ, daß er morgen das Haus der Strafe verlaſſen wuͤrde. Er wird, fuͤgte die Alte hinzu, zu einer alten Muhme ziehen, und wenn er ſich anſtaͤndig gekleidet hat, es wagen, ſie dahin einzuladen, um ihnen muͤndlich danken zu koͤnnen.
Sophie harrte dieſer Nachricht mit der Ungeduld der Liebenden entgegen. Sie hatte ihren Wilhelm wuͤrklich durch drei volle Jahre nicht geſehen, er mußte immer im Hofe des Zuchthauſes arbeiten, ſie konnte ſich nicht da- hin wagen, weil man jedem jungen Maͤdchen den Zutritt dahi[n] verweigerte, und der Ver- luſt ihres Dienſtes ganz ſicher erfolgt waͤre, wenn nur ein Verſuch dieſer Art waͤre verra- then worden. Man denke ſich nun die Sehn- ſucht, das peinigende, heiſchende Verlangen des liebenden Maͤdchens!
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Wohlthat danken, und zugleich melden ließ,
daß er morgen das Haus der Strafe verlaſſen
wuͤrde. Er wird, fuͤgte die Alte hinzu, zu
einer alten Muhme ziehen, und wenn er ſich
anſtaͤndig gekleidet hat, es wagen, ſie dahin
einzuladen, um ihnen muͤndlich danken zu
koͤnnen.
Sophie harrte dieſer Nachricht mit der
Ungeduld der Liebenden entgegen. Sie hatte
ihren Wilhelm wuͤrklich durch drei volle Jahre
nicht geſehen, er mußte immer im Hofe des
Zuchthauſes arbeiten, ſie konnte ſich nicht da-
hin wagen, weil man jedem jungen Maͤdchen
den Zutritt dahin verweigerte, und der Ver-
luſt ihres Dienſtes ganz ſicher erfolgt waͤre,
wenn nur ein Verſuch dieſer Art waͤre verra-
then worden. Man denke ſich nun die Sehn-
ſucht, das peinigende, heiſchende Verlangen
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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