Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

wunderung ob meiner wenigen Schönheit an
der Thüre stehen. Euer herrliches Bild,
sprach er, stand immer vor meinen Augen,
ich sahs schlafend und wachend, aber eure
Gegenwart überzeugt mich deutlich, daß mei-
ne Einbildungskraft ein armseliges Ding war,
mir nur Dämmerung zeigte, wo helles Licht
herrschte.

Meine Verwirrung war groß, hätte ich
auch sprechen können, ich würde doch nicht
geantwortet haben. Seine Freude über mei-
ne glückliche Rettung, über meine blühende
Gesundheit war ächt und rein, mein Dank
für seine Hülfe lebhaft und warm. Ich hatte
bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto,
der mich so schrecklich raubte, nur aus Mit-
leid geduldet, izt überwältigte diese gefähr-
liche, aber auch süsse Leidenschaft mein Herz
mit einmal. Ich sah, ich hörte nur ihn,
den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut-

wunderung ob meiner wenigen Schoͤnheit an
der Thuͤre ſtehen. Euer herrliches Bild,
ſprach er, ſtand immer vor meinen Augen,
ich ſahs ſchlafend und wachend, aber eure
Gegenwart uͤberzeugt mich deutlich, daß mei-
ne Einbildungskraft ein armſeliges Ding war,
mir nur Daͤmmerung zeigte, wo helles Licht
herrſchte.

Meine Verwirrung war groß, haͤtte ich
auch ſprechen koͤnnen, ich wuͤrde doch nicht
geantwortet haben. Seine Freude uͤber mei-
ne gluͤckliche Rettung, uͤber meine bluͤhende
Geſundheit war aͤcht und rein, mein Dank
fuͤr ſeine Huͤlfe lebhaft und warm. Ich hatte
bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto,
der mich ſo ſchrecklich raubte, nur aus Mit-
leid geduldet, izt uͤberwaͤltigte dieſe gefaͤhr-
liche, aber auch ſuͤſſe Leidenſchaft mein Herz
mit einmal. Ich ſah, ich hoͤrte nur ihn,
den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="255"/>
wunderung ob meiner wenigen Scho&#x0364;nheit an<lb/>
der Thu&#x0364;re &#x017F;tehen. Euer herrliches Bild,<lb/>
&#x017F;prach er, &#x017F;tand immer vor meinen Augen,<lb/>
ich &#x017F;ahs &#x017F;chlafend und wachend, aber eure<lb/>
Gegenwart u&#x0364;berzeugt mich deutlich, daß mei-<lb/>
ne Einbildungskraft ein arm&#x017F;eliges Ding war,<lb/>
mir nur Da&#x0364;mmerung zeigte, wo helles Licht<lb/>
herr&#x017F;chte.</p><lb/>
        <p>Meine Verwirrung war groß, ha&#x0364;tte ich<lb/>
auch &#x017F;prechen ko&#x0364;nnen, ich wu&#x0364;rde doch nicht<lb/>
geantwortet haben. Seine Freude u&#x0364;ber mei-<lb/>
ne glu&#x0364;ckliche Rettung, u&#x0364;ber meine blu&#x0364;hende<lb/>
Ge&#x017F;undheit war a&#x0364;cht und rein, mein Dank<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;eine Hu&#x0364;lfe lebhaft und warm. Ich hatte<lb/>
bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto,<lb/>
der mich &#x017F;o &#x017F;chrecklich raubte, nur aus Mit-<lb/>
leid geduldet, izt u&#x0364;berwa&#x0364;ltigte die&#x017F;e gefa&#x0364;hr-<lb/>
liche, aber auch &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Leiden&#x017F;chaft mein Herz<lb/>
mit einmal. Ich &#x017F;ah, ich ho&#x0364;rte nur ihn,<lb/>
den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0265] wunderung ob meiner wenigen Schoͤnheit an der Thuͤre ſtehen. Euer herrliches Bild, ſprach er, ſtand immer vor meinen Augen, ich ſahs ſchlafend und wachend, aber eure Gegenwart uͤberzeugt mich deutlich, daß mei- ne Einbildungskraft ein armſeliges Ding war, mir nur Daͤmmerung zeigte, wo helles Licht herrſchte. Meine Verwirrung war groß, haͤtte ich auch ſprechen koͤnnen, ich wuͤrde doch nicht geantwortet haben. Seine Freude uͤber mei- ne gluͤckliche Rettung, uͤber meine bluͤhende Geſundheit war aͤcht und rein, mein Dank fuͤr ſeine Huͤlfe lebhaft und warm. Ich hatte bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto, der mich ſo ſchrecklich raubte, nur aus Mit- leid geduldet, izt uͤberwaͤltigte dieſe gefaͤhr- liche, aber auch ſuͤſſe Leidenſchaft mein Herz mit einmal. Ich ſah, ich hoͤrte nur ihn, den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/265
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/265>, abgerufen am 22.11.2024.