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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

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muste. Hoch geehrt wurde in jedem Kloster
derjenige Mönch, welcher den Mechanismus
dieses einträglichen Handels vollkommen ver-
stand, und sich in der lezten Lebensstunde, wo
man so gerne für allen irrdischen Tand jenseiti-
ge Gewißheit kaufen möchte, als ein geistlicher
Wucherer bewies. Diese Mäkler konnten dann
sicher auf Ehrenstellen rechnen, aus ihnen ward
immer der geschickteste zum Abte erwählt.

Eben wie man aus Mangel des geistlichen
Wechselnegozes im Kloster zu T -- täglich eine
Speise weniger auf die Tafel setzen muste, nur
vier, statt sechs Becher Wein leeren konnte,
starb der alte, unthätige Abt, und einer der
geschicktesten Mäkler behauptete seinen Plaz.
Er untersuchte mit Forscherblick den Verfall der
klösterlichen Einkünfte, er blickte durchs lange
Thal hinab, ins tiefe Deutschland hinein und
überzeugte sich deutlich, daß im fetten Boden
des Aberglaubens die Klöster wie Pilze empor

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muſte. Hoch geehrt wurde in jedem Kloſter
derjenige Moͤnch, welcher den Mechanismus
dieſes eintraͤglichen Handels vollkommen ver-
ſtand, und ſich in der lezten Lebensſtunde, wo
man ſo gerne fuͤr allen irrdiſchen Tand jenſeiti-
ge Gewißheit kaufen moͤchte, als ein geiſtlicher
Wucherer bewies. Dieſe Maͤkler konnten dann
ſicher auf Ehrenſtellen rechnen, aus ihnen ward
immer der geſchickteſte zum Abte erwaͤhlt.

Eben wie man aus Mangel des geiſtlichen
Wechſelnegozes im Kloſter zu T — taͤglich eine
Speiſe weniger auf die Tafel ſetzen muſte, nur
vier, ſtatt ſechs Becher Wein leeren konnte,
ſtarb der alte, unthaͤtige Abt, und einer der
geſchickteſten Maͤkler behauptete ſeinen Plaz.
Er unterſuchte mit Forſcherblick den Verfall der
kloͤſterlichen Einkuͤnfte, er blickte durchs lange
Thal hinab, ins tiefe Deutſchland hinein und
uͤberzeugte ſich deutlich, daß im fetten Boden
des Aberglaubens die Kloͤſter wie Pilze empor

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[195/0205] muſte. Hoch geehrt wurde in jedem Kloſter derjenige Moͤnch, welcher den Mechanismus dieſes eintraͤglichen Handels vollkommen ver- ſtand, und ſich in der lezten Lebensſtunde, wo man ſo gerne fuͤr allen irrdiſchen Tand jenſeiti- ge Gewißheit kaufen moͤchte, als ein geiſtlicher Wucherer bewies. Dieſe Maͤkler konnten dann ſicher auf Ehrenſtellen rechnen, aus ihnen ward immer der geſchickteſte zum Abte erwaͤhlt. Eben wie man aus Mangel des geiſtlichen Wechſelnegozes im Kloſter zu T — taͤglich eine Speiſe weniger auf die Tafel ſetzen muſte, nur vier, ſtatt ſechs Becher Wein leeren konnte, ſtarb der alte, unthaͤtige Abt, und einer der geſchickteſten Maͤkler behauptete ſeinen Plaz. Er unterſuchte mit Forſcherblick den Verfall der kloͤſterlichen Einkuͤnfte, er blickte durchs lange Thal hinab, ins tiefe Deutſchland hinein und uͤberzeugte ſich deutlich, daß im fetten Boden des Aberglaubens die Kloͤſter wie Pilze empor N 2

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/205>, abgerufen am 24.11.2024.