Auch dem Ruhigen und Glücklichen macht Einsamkeit und Entfernung von aller menschli- chen Gesellschaft traurig und mißmuthig, um so mehr den Leidenden und Unglücklichen. Kein Freund erquickt sein schmachtendes Herz mit Trost, keine unerwartete Gelegenheit zerstreut seinen Kummer, er kann ungehin- dert die Grösse seines Leidens messen, und sich mit jedem Tage aufs neue überzeugen, daß sie unendlich, und daher immer dauernd sey. So ergings auch dem Grafen, er ward stets trauriger, stets melancholischer, und erregte dadurch das Mitleid seines gutherzi- gen Meisters, der ihn unter allen Knechten auszeichnete, oft an seinem eignen Tische speisen ließ, und sich hoch wunderte, wie der Leidende diese Ehre nicht hochschäzte, sie viel- mehr auf alle mögliche Art zu vermeiden suchte.
Auch dem Ruhigen und Gluͤcklichen macht Einſamkeit und Entfernung von aller menſchli- chen Geſellſchaft traurig und mißmuthig, um ſo mehr den Leidenden und Ungluͤcklichen. Kein Freund erquickt ſein ſchmachtendes Herz mit Troſt, keine unerwartete Gelegenheit zerſtreut ſeinen Kummer, er kann ungehin- dert die Groͤſſe ſeines Leidens meſſen, und ſich mit jedem Tage aufs neue uͤberzeugen, daß ſie unendlich, und daher immer dauernd ſey. So ergings auch dem Grafen, er ward ſtets trauriger, ſtets melancholiſcher, und erregte dadurch das Mitleid ſeines gutherzi- gen Meiſters, der ihn unter allen Knechten auszeichnete, oft an ſeinem eignen Tiſche ſpeiſen ließ, und ſich hoch wunderte, wie der Leidende dieſe Ehre nicht hochſchaͤzte, ſie viel- mehr auf alle moͤgliche Art zu vermeiden ſuchte.
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Auch dem Ruhigen und Gluͤcklichen macht
Einſamkeit und Entfernung von aller menſchli-
chen Geſellſchaft traurig und mißmuthig, um
ſo mehr den Leidenden und Ungluͤcklichen.
Kein Freund erquickt ſein ſchmachtendes Herz
mit Troſt, keine unerwartete Gelegenheit
zerſtreut ſeinen Kummer, er kann ungehin-
dert die Groͤſſe ſeines Leidens meſſen, und
ſich mit jedem Tage aufs neue uͤberzeugen,
daß ſie unendlich, und daher immer dauernd
ſey. So ergings auch dem Grafen, er ward
ſtets trauriger, ſtets melancholiſcher, und
erregte dadurch das Mitleid ſeines gutherzi-
gen Meiſters, der ihn unter allen Knechten
auszeichnete, oft an ſeinem eignen Tiſche
ſpeiſen ließ, und ſich hoch wunderte, wie der
Leidende dieſe Ehre nicht hochſchaͤzte, ſie viel-
mehr auf alle moͤgliche Art zu vermeiden
ſuchte.
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/167>, abgerufen am 22.11.2024.
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