erbrochen. Alle Anwesende erstaunten, als man im Zimmer den Verurtheilten nirgends erblickte; Verrath und Flucht war nun er- wiesen, alles eilte fort, um den erstern zu entdecken, die letztern zu verhindern.
Wie Engelsruf im schweren Todeskampfe, wie sanfter Flötenton im brausende Stur- me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei- denden und betenden Gattin, als ein mit- leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu- flüsterte, daß der Verurtheilte wirklich und wahrscheinlich auch glücklich entflohen sei. Ueber- spannung der Kräfte, und Raub des Wahn- sinns war nahe, als dieser lindernde Trost ihr schmachtendes Herz erquikte. Sie würde die Stunde seines Todes wohl schwerlich, we- nigstens nur mit dem Verluste ihres Ver- standes überlebt haben, izt konnte sie wieder hoffen, und Hoffnung ist das einzige Labsaal des Leidenden. Sie erregt Begierde nach
erbrochen. Alle Anweſende erſtaunten, als man im Zimmer den Verurtheilten nirgends erblickte; Verrath und Flucht war nun er- wieſen, alles eilte fort, um den erſtern zu entdecken, die letztern zu verhindern.
Wie Engelsruf im ſchweren Todeskampfe, wie ſanfter Floͤtenton im brauſende Stur- me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei- denden und betenden Gattin, als ein mit- leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu- fluͤſterte, daß der Verurtheilte wirklich und wahrſcheinlich auch gluͤcklich entflohen ſei. Ueber- ſpannung der Kraͤfte, und Raub des Wahn- ſinns war nahe, als dieſer lindernde Troſt ihr ſchmachtendes Herz erquikte. Sie wuͤrde die Stunde ſeines Todes wohl ſchwerlich, we- nigſtens nur mit dem Verluſte ihres Ver- ſtandes uͤberlebt haben, izt konnte ſie wieder hoffen, und Hoffnung iſt das einzige Labſaal des Leidenden. Sie erregt Begierde nach
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erbrochen. Alle Anweſende erſtaunten, als
man im Zimmer den Verurtheilten nirgends
erblickte; Verrath und Flucht war nun er-
wieſen, alles eilte fort, um den erſtern zu
entdecken, die letztern zu verhindern.
Wie Engelsruf im ſchweren Todeskampfe,
wie ſanfter Floͤtenton im brauſende Stur-
me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei-
denden und betenden Gattin, als ein mit-
leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu-
fluͤſterte, daß der Verurtheilte wirklich und
wahrſcheinlich auch gluͤcklich entflohen ſei. Ueber-
ſpannung der Kraͤfte, und Raub des Wahn-
ſinns war nahe, als dieſer lindernde Troſt
ihr ſchmachtendes Herz erquikte. Sie wuͤrde
die Stunde ſeines Todes wohl ſchwerlich, we-
nigſtens nur mit dem Verluſte ihres Ver-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/133>, abgerufen am 24.11.2024.
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