ihm erhalten konnte, was wir oft vergebens von ihm zu erstehen suchten.
Schon lange hatte Abzehrung, die Folge des vielen Grams und Kummers, am Leben meiner Mutter genagt, immer kränkelte sie, war wenige Tage gesund, itzt da der Herbst sich nahte, begann ihr Leiden stärker, schien nach der Versicherung des Arztes bald ganz enden zu wollen. Mein Vater fand in der Krank- heit der guten Mutter neuen Stof zur Ver- zögerung der sehnlich gewünschten Hochzeit. Obgleich die Kranke ihn oft versicherte, daß ihr die Gewißheit meines Glücks Labsal in ihrem Leiden, Beruhigung in ihrem Tode sein würde, so bestand der Vater doch hart- näckig auf seiner Weigerung, und behauptete, daß der Sohn, wenn die Mutter auf dem Krankenlager schmachte, nicht Feste der Freu- de feiern könne. Wir mußten diesen edlen
Biogr. d. W. 3. B. E
ihm erhalten konnte, was wir oft vergebens von ihm zu erſtehen ſuchten.
Schon lange hatte Abzehrung, die Folge des vielen Grams und Kummers, am Leben meiner Mutter genagt, immer kraͤnkelte ſie, war wenige Tage geſund, itzt da der Herbſt ſich nahte, begann ihr Leiden ſtaͤrker, ſchien nach der Verſicherung des Arztes bald ganz enden zu wollen. Mein Vater fand in der Krank- heit der guten Mutter neuen Stof zur Ver- zoͤgerung der ſehnlich gewuͤnſchten Hochzeit. Obgleich die Kranke ihn oft verſicherte, daß ihr die Gewißheit meines Gluͤcks Labſal in ihrem Leiden, Beruhigung in ihrem Tode ſein wuͤrde, ſo beſtand der Vater doch hart- naͤckig auf ſeiner Weigerung, und behauptete, daß der Sohn, wenn die Mutter auf dem Krankenlager ſchmachte, nicht Feſte der Freu- de feiern koͤnne. Wir mußten dieſen edlen
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ihm erhalten konnte, was wir oft vergebens
von ihm zu erſtehen ſuchten.
Schon lange hatte Abzehrung, die Folge
des vielen Grams und Kummers, am Leben
meiner Mutter genagt, immer kraͤnkelte ſie,
war wenige Tage geſund, itzt da der Herbſt
ſich nahte, begann ihr Leiden ſtaͤrker, ſchien nach
der Verſicherung des Arztes bald ganz enden
zu wollen. Mein Vater fand in der Krank-
heit der guten Mutter neuen Stof zur Ver-
zoͤgerung der ſehnlich gewuͤnſchten Hochzeit.
Obgleich die Kranke ihn oft verſicherte, daß
ihr die Gewißheit meines Gluͤcks Labſal in
ihrem Leiden, Beruhigung in ihrem Tode
ſein wuͤrde, ſo beſtand der Vater doch hart-
naͤckig auf ſeiner Weigerung, und behauptete,
daß der Sohn, wenn die Mutter auf dem
Krankenlager ſchmachte, nicht Feſte der Freu-
de feiern koͤnne. Wir mußten dieſen edlen
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/79>, abgerufen am 22.11.2024.
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