Boten wurden ausgesandt, kehrten aber gleich den erstern ohne ihn zurück.
Amalie trauerte aufs neue, ihr gutes Herz war des Dankes so voll, es preßte und ängstigte unaufhörlich ihre sonst so sorgenfreie Brust. Sonst ruhte sie die ganze Nacht un- gestört im Arme des wohlthätigen Schlafes, itzt durchwachte sie oft halbe Nächte in ban- gem Gefühle und stummen Staunen. Im- mer stand der edle Jüngling vor ihr, bald lächelte, bald drohte er. Sein Unglück machte gerechten Anspruch auf ihr Mitleid, auf ihre Hülfe, sie trauerte tief, daß sie ihm die letztere nicht leisten könne. Schön und reitzend, sprach sie oft hingerissen vom innigen Gefühle, stand er vor mir, lockend und anziehend war seine Gestalt, aber, aber -- er floh, und ich kann ihn nicht wie- der sehen, nicht danken für seine große Wohl- that!
Boten wurden ausgeſandt, kehrten aber gleich den erſtern ohne ihn zuruͤck.
Amalie trauerte aufs neue, ihr gutes Herz war des Dankes ſo voll, es preßte und aͤngſtigte unaufhoͤrlich ihre ſonſt ſo ſorgenfreie Bruſt. Sonſt ruhte ſie die ganze Nacht un- geſtoͤrt im Arme des wohlthaͤtigen Schlafes, itzt durchwachte ſie oft halbe Naͤchte in ban- gem Gefuͤhle und ſtummen Staunen. Im- mer ſtand der edle Juͤngling vor ihr, bald laͤchelte, bald drohte er. Sein Ungluͤck machte gerechten Anſpruch auf ihr Mitleid, auf ihre Huͤlfe, ſie trauerte tief, daß ſie ihm die letztere nicht leiſten koͤnne. Schoͤn und reitzend, ſprach ſie oft hingeriſſen vom innigen Gefuͤhle, ſtand er vor mir, lockend und anziehend war ſeine Geſtalt, aber, aber — er floh, und ich kann ihn nicht wie- der ſehen, nicht danken fuͤr ſeine große Wohl- that!
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Boten wurden ausgeſandt, kehrten aber gleich
den erſtern ohne ihn zuruͤck.
Amalie trauerte aufs neue, ihr gutes
Herz war des Dankes ſo voll, es preßte und
aͤngſtigte unaufhoͤrlich ihre ſonſt ſo ſorgenfreie
Bruſt. Sonſt ruhte ſie die ganze Nacht un-
geſtoͤrt im Arme des wohlthaͤtigen Schlafes,
itzt durchwachte ſie oft halbe Naͤchte in ban-
gem Gefuͤhle und ſtummen Staunen. Im-
mer ſtand der edle Juͤngling vor ihr, bald
laͤchelte, bald drohte er. Sein Ungluͤck
machte gerechten Anſpruch auf ihr Mitleid,
auf ihre Huͤlfe, ſie trauerte tief, daß ſie
ihm die letztere nicht leiſten koͤnne. Schoͤn
und reitzend, ſprach ſie oft hingeriſſen vom
innigen Gefuͤhle, ſtand er vor mir, lockend
und anziehend war ſeine Geſtalt, aber,
aber — er floh, und ich kann ihn nicht wie-
der ſehen, nicht danken fuͤr ſeine große Wohl-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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