Der alte Vater saß nun einsam auf sei- ner Veste, er haßte die Jagd, weil diese ihm einst allzu weit von seiner Tochter ent- fernt hatte, er haßte den Trunk, weil Edel- drud ihm nicht mehr den Becher kredenzte, er haßte Gelage und Gesellschaft, weil bei- des ihn hinderte, an sein geliebtes Kind zu denken, und ihrem Andenken eine Thräne zu weihen. Er sprach äusserst wenig, öfnete sein Thor keinem Freunde, keinem Fremden, und hofte, daß Kummer und Gram sein Meister- stück bald vollenden, ihm gleich der Gattin zu seinen Vätern versammlen würde. Sechs lange Jahre hofte er dies vergebens, denn sein starker Körper trozte dem Leiden der Seele, er konnte ihn wohl beugen, aber nicht zerstören.
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dort zu finden, wenigſtens wieder zu ſehen hofte.
Der alte Vater ſaß nun einſam auf ſei- ner Veſte, er haßte die Jagd, weil dieſe ihm einſt allzu weit von ſeiner Tochter ent- fernt hatte, er haßte den Trunk, weil Edel- drud ihm nicht mehr den Becher kredenzte, er haßte Gelage und Geſellſchaft, weil bei- des ihn hinderte, an ſein geliebtes Kind zu denken, und ihrem Andenken eine Thraͤne zu weihen. Er ſprach aͤuſſerſt wenig, oͤfnete ſein Thor keinem Freunde, keinem Fremden, und hofte, daß Kummer und Gram ſein Meiſter- ſtuͤck bald vollenden, ihm gleich der Gattin zu ſeinen Vaͤtern verſammlen wuͤrde. Sechs lange Jahre hofte er dies vergebens, denn ſein ſtarker Koͤrper trozte dem Leiden der Seele, er konnte ihn wohl beugen, aber nicht zerſtoͤren.
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dort zu finden, wenigſtens wieder zu ſehen
hofte.
Der alte Vater ſaß nun einſam auf ſei-
ner Veſte, er haßte die Jagd, weil dieſe
ihm einſt allzu weit von ſeiner Tochter ent-
fernt hatte, er haßte den Trunk, weil Edel-
drud ihm nicht mehr den Becher kredenzte,
er haßte Gelage und Geſellſchaft, weil bei-
des ihn hinderte, an ſein geliebtes Kind zu
denken, und ihrem Andenken eine Thraͤne zu
weihen. Er ſprach aͤuſſerſt wenig, oͤfnete ſein
Thor keinem Freunde, keinem Fremden, und
hofte, daß Kummer und Gram ſein Meiſter-
ſtuͤck bald vollenden, ihm gleich der Gattin
zu ſeinen Vaͤtern verſammlen wuͤrde. Sechs
lange Jahre hofte er dies vergebens, denn
ſein ſtarker Koͤrper trozte dem Leiden der
Seele, er konnte ihn wohl beugen, aber nicht
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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