nur vom Hörensagen, und so mag dann man- ches verlohren gegangen sein, was ich ihnen gerne erzählen wollte, wenn ich's recht zu erzählen wüßte. So viel ist gewiß, daß vor einigen hundert Jahren auf diesem Felsen ein schönes Schloß stand, und darinne eine rei- che Edelfrau mit ihrer einzigen Tochter leb- te. Diese liebte einen jungen Herrn aus der Nachbarschaft, welchen die Mutter nicht lei- den konnte, und es daher nie erlauben woll- te, daß sie ihn heurathe. Aber die Tochter achtete der Mutter Verbot nicht, und ver- sprach heimlich ihrem Liebhaber, so lange sei- ner zu harren, bis die Mutter sterben würde.
Kurz vor ihrem Tode erfuhr die Mut- ter dies Versprechen, sie ward äusserst darüber böse drohte der Ungehorsamen mit dem Fluche, und bat Gott inbrünstig, daß er ihn hören, und der Tochter Brautbette in einen Stein verwandeln möge, wenn sie den jungen Ritter dahin führen wolle.
nur vom Hoͤrenſagen, und ſo mag dann man- ches verlohren gegangen ſein, was ich ihnen gerne erzaͤhlen wollte, wenn ich's recht zu erzaͤhlen wuͤßte. So viel iſt gewiß, daß vor einigen hundert Jahren auf dieſem Felſen ein ſchoͤnes Schloß ſtand, und darinne eine rei- che Edelfrau mit ihrer einzigen Tochter leb- te. Dieſe liebte einen jungen Herrn aus der Nachbarſchaft, welchen die Mutter nicht lei- den konnte, und es daher nie erlauben woll- te, daß ſie ihn heurathe. Aber die Tochter achtete der Mutter Verbot nicht, und ver- ſprach heimlich ihrem Liebhaber, ſo lange ſei- ner zu harren, bis die Mutter ſterben wuͤrde.
Kurz vor ihrem Tode erfuhr die Mut- ter dies Verſprechen, ſie ward aͤuſſerſt daruͤber boͤſe drohte der Ungehorſamen mit dem Fluche, und bat Gott inbruͤnſtig, daß er ihn hoͤren, und der Tochter Brautbette in einen Stein verwandeln moͤge, wenn ſie den jungen Ritter dahin fuͤhren wolle.
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nur vom Hoͤrenſagen, und ſo mag dann man-
ches verlohren gegangen ſein, was ich ihnen
gerne erzaͤhlen wollte, wenn ich's recht zu
erzaͤhlen wuͤßte. So viel iſt gewiß, daß vor
einigen hundert Jahren auf dieſem Felſen ein
ſchoͤnes Schloß ſtand, und darinne eine rei-
che Edelfrau mit ihrer einzigen Tochter leb-
te. Dieſe liebte einen jungen Herrn aus der
Nachbarſchaft, welchen die Mutter nicht lei-
den konnte, und es daher nie erlauben woll-
te, daß ſie ihn heurathe. Aber die Tochter
achtete der Mutter Verbot nicht, und ver-
ſprach heimlich ihrem Liebhaber, ſo lange ſei-
ner zu harren, bis die Mutter ſterben wuͤrde.
Kurz vor ihrem Tode erfuhr die Mut-
ter dies Verſprechen, ſie ward aͤuſſerſt
daruͤber boͤſe drohte der Ungehorſamen mit
dem Fluche, und bat Gott inbruͤnſtig, daß
er ihn hoͤren, und der Tochter Brautbette in
einen Stein verwandeln moͤge, wenn ſie den
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/313>, abgerufen am 24.11.2024.
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