Speisen bezahlen, wenn ichs erlauben könn- te, und diese nicht sein Elend vermehrten.
Der Arzt hatte wahr prophezeit, schon vierzehn Tage nachher starb der arme Greis. Eine Viertelstunde vor seinem Tode erhielt er den vollen Gebrauch seiner Vernunft wie- der. Wo bin ich denn? Bin ich würklich in meinem Vaterlande? fragte er den Wärter, und als dieser es bejahte, so rief er freudig aus: So ist ja mein innigster Wunsch erfüllt, so sterbe ich vergnügt und mit der Gewißheit eines jenseitigen Lohns! -- -- Dies konnte der arme Leidende mit Zuversicht sagen, denn wenn er dort nicht Lohn fände, was sollten, was könnten wir hoffen? Wir, die wir nie Eltern, Freunde und Vaterland auf immer verlassen mußten, nicht schmachteten in Ket- ten der Sklaverei und des Wahnsinns! Oft den Becher der Freude leerten, und schon
Speiſen bezahlen, wenn ichs erlauben koͤnn- te, und dieſe nicht ſein Elend vermehrten.
Der Arzt hatte wahr prophezeit, ſchon vierzehn Tage nachher ſtarb der arme Greis. Eine Viertelſtunde vor ſeinem Tode erhielt er den vollen Gebrauch ſeiner Vernunft wie- der. Wo bin ich denn? Bin ich wuͤrklich in meinem Vaterlande? fragte er den Waͤrter, und als dieſer es bejahte, ſo rief er freudig aus: So iſt ja mein innigſter Wunſch erfuͤllt, ſo ſterbe ich vergnuͤgt und mit der Gewißheit eines jenſeitigen Lohns! — — Dies konnte der arme Leidende mit Zuverſicht ſagen, denn wenn er dort nicht Lohn faͤnde, was ſollten, was koͤnnten wir hoffen? Wir, die wir nie Eltern, Freunde und Vaterland auf immer verlaſſen mußten, nicht ſchmachteten in Ket- ten der Sklaverei und des Wahnſinns! Oft den Becher der Freude leerten, und ſchon
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Speiſen bezahlen, wenn ichs erlauben koͤnn-
te, und dieſe nicht ſein Elend vermehrten.
Der Arzt hatte wahr prophezeit, ſchon
vierzehn Tage nachher ſtarb der arme Greis.
Eine Viertelſtunde vor ſeinem Tode erhielt
er den vollen Gebrauch ſeiner Vernunft wie-
der. Wo bin ich denn? Bin ich wuͤrklich in
meinem Vaterlande? fragte er den Waͤrter, und
als dieſer es bejahte, ſo rief er freudig aus:
So iſt ja mein innigſter Wunſch erfuͤllt, ſo
ſterbe ich vergnuͤgt und mit der Gewißheit
eines jenſeitigen Lohns! — — Dies konnte
der arme Leidende mit Zuverſicht ſagen, denn
wenn er dort nicht Lohn faͤnde, was ſollten,
was koͤnnten wir hoffen? Wir, die wir nie
Eltern, Freunde und Vaterland auf immer
verlaſſen mußten, nicht ſchmachteten in Ket-
ten der Sklaverei und des Wahnſinns! Oft
den Becher der Freude leerten, und ſchon
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/284>, abgerufen am 26.11.2024.
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