fest vor der Seele steht, sich nicht mehr wen- det oder dreht, keiner andern Vorstellung Platz gestattet.
Schon ein Jahr lang raßt er nicht mehr, thut niemanden etwas zu Leide, könnte un- gehindert im Vorhofe und Saale spazieren gehen, wenn nicht bei dem geringsten Schei- ne der Freiheit die Hofnung zur Flucht in ihm erwachte. Er klettert dann ohne Unter- laß an jeder Mauer empor, würde sicher den Hals brechen, wenn ich ihm Freiheit gönnen wollte.
Wir gingen weiter. Im ersten Gemache, das wir betraten, saß in der Mitte dessel- ben ein ehrwürdiger Greis auf einem Lehn- stuhle, sein weisses Silberhaar hing in spar- samen Locken um seine Schläfe; eine große Narbe, die vom Haare herab über den lin- ken Backen lief, und sich erst am Kinn en-
feſt vor der Seele ſteht, ſich nicht mehr wen- det oder dreht, keiner andern Vorſtellung Platz geſtattet.
Schon ein Jahr lang raßt er nicht mehr, thut niemanden etwas zu Leide, koͤnnte un- gehindert im Vorhofe und Saale ſpazieren gehen, wenn nicht bei dem geringſten Schei- ne der Freiheit die Hofnung zur Flucht in ihm erwachte. Er klettert dann ohne Unter- laß an jeder Mauer empor, wuͤrde ſicher den Hals brechen, wenn ich ihm Freiheit goͤnnen wollte.
Wir gingen weiter. Im erſten Gemache, das wir betraten, ſaß in der Mitte deſſel- ben ein ehrwuͤrdiger Greis auf einem Lehn- ſtuhle, ſein weiſſes Silberhaar hing in ſpar- ſamen Locken um ſeine Schlaͤfe; eine große Narbe, die vom Haare herab uͤber den lin- ken Backen lief, und ſich erſt am Kinn en-
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feſt vor der Seele ſteht, ſich nicht mehr wen-
det oder dreht, keiner andern Vorſtellung
Platz geſtattet.
Schon ein Jahr lang raßt er nicht mehr,
thut niemanden etwas zu Leide, koͤnnte un-
gehindert im Vorhofe und Saale ſpazieren
gehen, wenn nicht bei dem geringſten Schei-
ne der Freiheit die Hofnung zur Flucht in
ihm erwachte. Er klettert dann ohne Unter-
laß an jeder Mauer empor, wuͤrde ſicher den
Hals brechen, wenn ich ihm Freiheit goͤnnen
wollte.
Wir gingen weiter. Im erſten Gemache,
das wir betraten, ſaß in der Mitte deſſel-
ben ein ehrwuͤrdiger Greis auf einem Lehn-
ſtuhle, ſein weiſſes Silberhaar hing in ſpar-
ſamen Locken um ſeine Schlaͤfe; eine große
Narbe, die vom Haare herab uͤber den lin-
ken Backen lief, und ſich erſt am Kinn en-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/275>, abgerufen am 26.11.2024.
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