Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

lichsten aller Menschen kennen. Gern wollte
ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha-
be keinen. Sehen sie nur, sehen sie! (in-
dem er im Zimmer umherzeigte)
Eine
kleine Bettstelle, ein angenagelter Tisch und
Stuhl! Das ist mein ganzer Hausrath! Ge-
nug für einen Wahnsinnigen, aber viel zu
wenig für einen Unglücklichen, der sich besse-
rer Zeiten erinnert, und bei der größten
Selbstverläugnung dies Gefühl nicht unter-
drücken kann. Eben saß ich hier, und hader-
te mit Gott: Warum er nur mir allein täg-
lich, fast stündlich einen vollen Leidensbecher
reiche, mich mit allmächtiger Hand zwinge,
ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich
wollte, aber ich konnte nicht beten, meine
Seele murrte, ich war der Verzweiflung na-
he! -- -- Aber izt, izt ist mir wieder wohl
und leicht! Wenn ich nur einen Menschen er-
blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt,
der nur mit einer mitleidigen Miene mich trö-

lichſten aller Menſchen kennen. Gern wollte
ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha-
be keinen. Sehen ſie nur, ſehen ſie! (in-
dem er im Zimmer umherzeigte)
Eine
kleine Bettſtelle, ein angenagelter Tiſch und
Stuhl! Das iſt mein ganzer Hausrath! Ge-
nug fuͤr einen Wahnſinnigen, aber viel zu
wenig fuͤr einen Ungluͤcklichen, der ſich beſſe-
rer Zeiten erinnert, und bei der groͤßten
Selbſtverlaͤugnung dies Gefuͤhl nicht unter-
druͤcken kann. Eben ſaß ich hier, und hader-
te mit Gott: Warum er nur mir allein taͤg-
lich, faſt ſtuͤndlich einen vollen Leidensbecher
reiche, mich mit allmaͤchtiger Hand zwinge,
ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich
wollte, aber ich konnte nicht beten, meine
Seele murrte, ich war der Verzweiflung na-
he! — — Aber izt, izt iſt mir wieder wohl
und leicht! Wenn ich nur einen Menſchen er-
blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt,
der nur mit einer mitleidigen Miene mich troͤ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0262" n="248"/>
lich&#x017F;ten aller Men&#x017F;chen kennen. Gern wollte<lb/>
ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha-<lb/>
be keinen. Sehen &#x017F;ie nur, &#x017F;ehen &#x017F;ie! <hi rendition="#g">(in-<lb/>
dem er im Zimmer umherzeigte)</hi> Eine<lb/>
kleine Bett&#x017F;telle, ein angenagelter Ti&#x017F;ch und<lb/>
Stuhl! Das i&#x017F;t mein ganzer Hausrath! Ge-<lb/>
nug fu&#x0364;r einen Wahn&#x017F;innigen, aber viel zu<lb/>
wenig fu&#x0364;r einen Unglu&#x0364;cklichen, der &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
rer Zeiten erinnert, und bei der gro&#x0364;ßten<lb/>
Selb&#x017F;tverla&#x0364;ugnung dies Gefu&#x0364;hl nicht unter-<lb/>
dru&#x0364;cken kann. Eben &#x017F;aß ich hier, und hader-<lb/>
te mit Gott: Warum er nur mir allein ta&#x0364;g-<lb/>
lich, fa&#x017F;t &#x017F;tu&#x0364;ndlich einen vollen Leidensbecher<lb/>
reiche, mich mit allma&#x0364;chtiger Hand zwinge,<lb/>
ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich<lb/>
wollte, aber ich konnte nicht beten, meine<lb/>
Seele murrte, ich war der Verzweiflung na-<lb/>
he! &#x2014; &#x2014; Aber izt, izt i&#x017F;t mir wieder wohl<lb/>
und leicht! Wenn ich nur einen Men&#x017F;chen er-<lb/>
blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt,<lb/>
der nur mit einer mitleidigen Miene mich tro&#x0364;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] lichſten aller Menſchen kennen. Gern wollte ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha- be keinen. Sehen ſie nur, ſehen ſie! (in- dem er im Zimmer umherzeigte) Eine kleine Bettſtelle, ein angenagelter Tiſch und Stuhl! Das iſt mein ganzer Hausrath! Ge- nug fuͤr einen Wahnſinnigen, aber viel zu wenig fuͤr einen Ungluͤcklichen, der ſich beſſe- rer Zeiten erinnert, und bei der groͤßten Selbſtverlaͤugnung dies Gefuͤhl nicht unter- druͤcken kann. Eben ſaß ich hier, und hader- te mit Gott: Warum er nur mir allein taͤg- lich, faſt ſtuͤndlich einen vollen Leidensbecher reiche, mich mit allmaͤchtiger Hand zwinge, ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich wollte, aber ich konnte nicht beten, meine Seele murrte, ich war der Verzweiflung na- he! — — Aber izt, izt iſt mir wieder wohl und leicht! Wenn ich nur einen Menſchen er- blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt, der nur mit einer mitleidigen Miene mich troͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/262
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/262>, abgerufen am 25.11.2024.