sten Anblick finden würde, einem geschickten, rechtschafnen Manne seinen Verstand, sechs unerzognen Kindern einen würdigen Vater, und einer zärtlichen Gattin ihren Mann rau- ben konnte? Und doch geschah's! Ach! un- ser Verstand ist ein elendes Ding; Prinz Hamlet hat recht, wenn er ihn für eine Stecknadel feil bietet, wir verliehren ihn oft über Dinge, die diesen Werth nicht enthal- ten.
Meine Neugierde war heftig gespannt, ich wünschte, den Unglücklichen näher zu ken- nen, und mir ward Erhörung!
Friedrich H -- hatte sich durch emsigen Fleiß und ächtes Verdienst eine Stelle bei der Staatskasse erworben, welche ihn wohl ernährte, und erlaubte, seine Geliebte als Frau heimzuführen. Er lebte mit ihr zufrie- den und glücklich, sie gebahr ihm sechs Kin-
ſten Anblick finden wuͤrde, einem geſchickten, rechtſchafnen Manne ſeinen Verſtand, ſechs unerzognen Kindern einen wuͤrdigen Vater, und einer zaͤrtlichen Gattin ihren Mann rau- ben konnte? Und doch geſchah's! Ach! un- ſer Verſtand iſt ein elendes Ding; Prinz Hamlet hat recht, wenn er ihn fuͤr eine Stecknadel feil bietet, wir verliehren ihn oft uͤber Dinge, die dieſen Werth nicht enthal- ten.
Meine Neugierde war heftig geſpannt, ich wuͤnſchte, den Ungluͤcklichen naͤher zu ken- nen, und mir ward Erhoͤrung!
Friedrich H — hatte ſich durch emſigen Fleiß und aͤchtes Verdienſt eine Stelle bei der Staatskaſſe erworben, welche ihn wohl ernaͤhrte, und erlaubte, ſeine Geliebte als Frau heimzufuͤhren. Er lebte mit ihr zufrie- den und gluͤcklich, ſie gebahr ihm ſechs Kin-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0249"n="235"/>ſten Anblick finden wuͤrde, einem geſchickten,<lb/>
rechtſchafnen Manne ſeinen Verſtand, ſechs<lb/>
unerzognen Kindern einen wuͤrdigen Vater,<lb/>
und einer zaͤrtlichen Gattin ihren Mann rau-<lb/>
ben konnte? Und doch geſchah's! Ach! un-<lb/>ſer Verſtand iſt ein elendes Ding; Prinz<lb/>
Hamlet hat recht, wenn er ihn fuͤr eine<lb/>
Stecknadel feil bietet, wir verliehren ihn oft<lb/>
uͤber Dinge, die dieſen Werth nicht enthal-<lb/>
ten.</p><lb/><p>Meine Neugierde war heftig geſpannt,<lb/>
ich wuͤnſchte, den Ungluͤcklichen naͤher zu ken-<lb/>
nen, und mir ward Erhoͤrung!</p><lb/><p>Friedrich H — hatte ſich durch emſigen<lb/>
Fleiß und aͤchtes Verdienſt eine Stelle bei<lb/>
der Staatskaſſe erworben, welche ihn wohl<lb/>
ernaͤhrte, und erlaubte, ſeine Geliebte als<lb/>
Frau heimzufuͤhren. Er lebte mit ihr zufrie-<lb/>
den und gluͤcklich, ſie gebahr ihm ſechs Kin-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[235/0249]
ſten Anblick finden wuͤrde, einem geſchickten,
rechtſchafnen Manne ſeinen Verſtand, ſechs
unerzognen Kindern einen wuͤrdigen Vater,
und einer zaͤrtlichen Gattin ihren Mann rau-
ben konnte? Und doch geſchah's! Ach! un-
ſer Verſtand iſt ein elendes Ding; Prinz
Hamlet hat recht, wenn er ihn fuͤr eine
Stecknadel feil bietet, wir verliehren ihn oft
uͤber Dinge, die dieſen Werth nicht enthal-
ten.
Meine Neugierde war heftig geſpannt,
ich wuͤnſchte, den Ungluͤcklichen naͤher zu ken-
nen, und mir ward Erhoͤrung!
Friedrich H — hatte ſich durch emſigen
Fleiß und aͤchtes Verdienſt eine Stelle bei
der Staatskaſſe erworben, welche ihn wohl
ernaͤhrte, und erlaubte, ſeine Geliebte als
Frau heimzufuͤhren. Er lebte mit ihr zufrie-
den und gluͤcklich, ſie gebahr ihm ſechs Kin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/249>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.