Mein Freund führte mich izt nach der klei- nen Treppe, welche zu den Gemächern der geketteten Wahnsinnigen empor führte. Er fragte nach dem Wärter derselben, weil nur sein Anblick die Raserei der Unglücklichen däm- pfen konnte. Er war nicht zu Hause, aber seine Tochter, eine starke, nicht häßliche Dir- ne erschien, und versicherte mich mit einem zufriednen Blicke -- der mein Gefühl empör- te -- daß mir in ihrer Gesellschaft kein Leid wiederfahren würde.
Sie ging voran, ich und mein Freund folgten. Beim ersten Gemache blieben wir ste- hen. Ein schöner, noch nicht vier und zwanzig Jahr alter Jüngling lag ausgestreckt am Bo- den, stüzte sein Gesicht auf seine Hand, und trällerte eben ein bekanntes Volksliedchen. Er grüßte uns freundlich, wie wir näher traten, und trällerte weiter.
Mein Freund fuͤhrte mich izt nach der klei- nen Treppe, welche zu den Gemaͤchern der geketteten Wahnſinnigen empor fuͤhrte. Er fragte nach dem Waͤrter derſelben, weil nur ſein Anblick die Raſerei der Ungluͤcklichen daͤm- pfen konnte. Er war nicht zu Hauſe, aber ſeine Tochter, eine ſtarke, nicht haͤßliche Dir- ne erſchien, und verſicherte mich mit einem zufriednen Blicke — der mein Gefuͤhl empoͤr- te — daß mir in ihrer Geſellſchaft kein Leid wiederfahren wuͤrde.
Sie ging voran, ich und mein Freund folgten. Beim erſten Gemache blieben wir ſte- hen. Ein ſchoͤner, noch nicht vier und zwanzig Jahr alter Juͤngling lag ausgeſtreckt am Bo- den, ſtuͤzte ſein Geſicht auf ſeine Hand, und traͤllerte eben ein bekanntes Volksliedchen. Er gruͤßte uns freundlich, wie wir naͤher traten, und traͤllerte weiter.
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Mein Freund fuͤhrte mich izt nach der klei-
nen Treppe, welche zu den Gemaͤchern der
geketteten Wahnſinnigen empor fuͤhrte. Er
fragte nach dem Waͤrter derſelben, weil nur
ſein Anblick die Raſerei der Ungluͤcklichen daͤm-
pfen konnte. Er war nicht zu Hauſe, aber
ſeine Tochter, eine ſtarke, nicht haͤßliche Dir-
ne erſchien, und verſicherte mich mit einem
zufriednen Blicke — der mein Gefuͤhl empoͤr-
te — daß mir in ihrer Geſellſchaft kein Leid
wiederfahren wuͤrde.
Sie ging voran, ich und mein Freund
folgten. Beim erſten Gemache blieben wir ſte-
hen. Ein ſchoͤner, noch nicht vier und zwanzig
Jahr alter Juͤngling lag ausgeſtreckt am Bo-
den, ſtuͤzte ſein Geſicht auf ſeine Hand, und
traͤllerte eben ein bekanntes Volksliedchen. Er
gruͤßte uns freundlich, wie wir naͤher traten,
und traͤllerte weiter.
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/237>, abgerufen am 24.11.2024.
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