welches sie ehe schon bewohnt hatte. Dort pflegte sie ihrer mit inniger Sorgfalt, eilte nach Hülfe, als die unglückliche Dulderin bald hernach ein todtes Kind gebahr. Die Geburt desselben war äußerst schmerzhaft und gefahrvoll, aber Amalie sprach diese ganze Zeit über kein Wort, verrieth durch keine Miene den schrecklichen Schmerz, welchen sie dulden mußte. Als man ihr den neugebohrnen, aber auch todten Knaben zeigte, da lächelte sie freundlich, wollte ihn küssen, stieß ihn aber hastig von sich, und fragte nie mehr nach ihm. Die Folgen der schweren Geburt wa- ren noch gefahrvoller, sie kämpfte oft mit dem Tode, nur ihre jugendlichen Kräfte überwan- den ihn.
Als der Arzt sie für gesund erklärte, da ward man erst überzeugt, daß ihr Unglück ihr den Verstand geraubt habe. Sie aß und trank gleich einer Gesunden, sprach aber nie
welches ſie ehe ſchon bewohnt hatte. Dort pflegte ſie ihrer mit inniger Sorgfalt, eilte nach Huͤlfe, als die ungluͤckliche Dulderin bald hernach ein todtes Kind gebahr. Die Geburt deſſelben war aͤußerſt ſchmerzhaft und gefahrvoll, aber Amalie ſprach dieſe ganze Zeit uͤber kein Wort, verrieth durch keine Miene den ſchrecklichen Schmerz, welchen ſie dulden mußte. Als man ihr den neugebohrnen, aber auch todten Knaben zeigte, da laͤchelte ſie freundlich, wollte ihn kuͤſſen, ſtieß ihn aber haſtig von ſich, und fragte nie mehr nach ihm. Die Folgen der ſchweren Geburt wa- ren noch gefahrvoller, ſie kaͤmpfte oft mit dem Tode, nur ihre jugendlichen Kraͤfte uͤberwan- den ihn.
Als der Arzt ſie fuͤr geſund erklaͤrte, da ward man erſt uͤberzeugt, daß ihr Ungluͤck ihr den Verſtand geraubt habe. Sie aß und trank gleich einer Geſunden, ſprach aber nie
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welches ſie ehe ſchon bewohnt hatte. Dort
pflegte ſie ihrer mit inniger Sorgfalt, eilte
nach Huͤlfe, als die ungluͤckliche Dulderin
bald hernach ein todtes Kind gebahr. Die
Geburt deſſelben war aͤußerſt ſchmerzhaft und
gefahrvoll, aber Amalie ſprach dieſe ganze Zeit
uͤber kein Wort, verrieth durch keine Miene
den ſchrecklichen Schmerz, welchen ſie dulden
mußte. Als man ihr den neugebohrnen, aber
auch todten Knaben zeigte, da laͤchelte ſie
freundlich, wollte ihn kuͤſſen, ſtieß ihn aber
haſtig von ſich, und fragte nie mehr nach
ihm. Die Folgen der ſchweren Geburt wa-
ren noch gefahrvoller, ſie kaͤmpfte oft mit dem
Tode, nur ihre jugendlichen Kraͤfte uͤberwan-
den ihn.
Als der Arzt ſie fuͤr geſund erklaͤrte, da
ward man erſt uͤberzeugt, daß ihr Ungluͤck
ihr den Verſtand geraubt habe. Sie aß und
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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