Gelegenheit, der Stiefmutter Gesellschaft zu leisten, ihr zu bekennen, was er fühle. Ihr Gatte war schon über sechzig alt, sie mußte ihn wider Willen ehelichen, sein Sohn war ein schöner, feuriger Jüngling -- -- Ursa- chen genug, um den Abscheu zu tilgen, der ihr Herz füllte, als sie zum erstenmale hör- te, daß der Sohn ihres Gatten sie liebe. Er heischte Trost, sie gewährte ihn anfangs schwach, bald stärker, und endlich auf solche Art, daß dem Verführer nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Der betrogene Vater entdeckte bald die schreckliche That, er über- zeugte sich augenscheinlich, verstieß den unna- türlichen Sohn, und vergab der flehenden Gattin.
Wie sich die Liebenden abermals sahen und fanden, kann ich nicht genau bestimmen, aber daß es geschah, daß sie in diesen Zusammen- künften die Vergiftung des unglücklichen Al-
Gelegenheit, der Stiefmutter Geſellſchaft zu leiſten, ihr zu bekennen, was er fuͤhle. Ihr Gatte war ſchon uͤber ſechzig alt, ſie mußte ihn wider Willen ehelichen, ſein Sohn war ein ſchoͤner, feuriger Juͤngling — — Urſa- chen genug, um den Abſcheu zu tilgen, der ihr Herz fuͤllte, als ſie zum erſtenmale hoͤr- te, daß der Sohn ihres Gatten ſie liebe. Er heiſchte Troſt, ſie gewaͤhrte ihn anfangs ſchwach, bald ſtaͤrker, und endlich auf ſolche Art, daß dem Verfuͤhrer nichts mehr zu wuͤnſchen uͤbrig blieb. Der betrogene Vater entdeckte bald die ſchreckliche That, er uͤber- zeugte ſich augenſcheinlich, verſtieß den unna- tuͤrlichen Sohn, und vergab der flehenden Gattin.
Wie ſich die Liebenden abermals ſahen und fanden, kann ich nicht genau beſtimmen, aber daß es geſchah, daß ſie in dieſen Zuſammen- kuͤnften die Vergiftung des ungluͤcklichen Al-
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Gelegenheit, der Stiefmutter Geſellſchaft zu
leiſten, ihr zu bekennen, was er fuͤhle. Ihr
Gatte war ſchon uͤber ſechzig alt, ſie mußte
ihn wider Willen ehelichen, ſein Sohn war
ein ſchoͤner, feuriger Juͤngling — — Urſa-
chen genug, um den Abſcheu zu tilgen, der
ihr Herz fuͤllte, als ſie zum erſtenmale hoͤr-
te, daß der Sohn ihres Gatten ſie liebe.
Er heiſchte Troſt, ſie gewaͤhrte ihn anfangs
ſchwach, bald ſtaͤrker, und endlich auf ſolche
Art, daß dem Verfuͤhrer nichts mehr zu
wuͤnſchen uͤbrig blieb. Der betrogene Vater
entdeckte bald die ſchreckliche That, er uͤber-
zeugte ſich augenſcheinlich, verſtieß den unna-
tuͤrlichen Sohn, und vergab der flehenden
Gattin.
Wie ſich die Liebenden abermals ſahen und
fanden, kann ich nicht genau beſtimmen, aber
daß es geſchah, daß ſie in dieſen Zuſammen-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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