Wie der Bothe zurückkehrte, ging die Wir- thin mit dem Pulver nach Amaliens Zimmer; sie und ihre Mädchen hatten vorher einige Gäste zu bewirthen gehabt, waren schon seit einer Stunde nicht bei der Kranken gewesen, und hielten's nicht für nöthig, weil sie stets still und meistens sinnlos auf ihrem Bette lag. Die Wirthin erstaunte sehr, als sie solche dort nicht mehr traf, vergebens nach ihr das ganze Haus durchsuchte. Wilhelm ward von diesem neuen Zufalle sogleich benach- richtigt, forschte vergebens ingeheim in der ganzen Stadt nach ihr umher, durchlebte ei- nige Tage in quaalvoller Angst, vergaß aber bald alles, als niemand sie finden konnte, und der Gedanke, daß sie sich wahrscheinlich im Flusse ertränkt habe, immer mehr zur Gewißheit wurde.
Wie's kam und geschah, daß Wilhelm so äußerst undankbar, so grausam an Ama-
Wie der Bothe zuruͤckkehrte, ging die Wir- thin mit dem Pulver nach Amaliens Zimmer; ſie und ihre Maͤdchen hatten vorher einige Gaͤſte zu bewirthen gehabt, waren ſchon ſeit einer Stunde nicht bei der Kranken geweſen, und hielten's nicht fuͤr noͤthig, weil ſie ſtets ſtill und meiſtens ſinnlos auf ihrem Bette lag. Die Wirthin erſtaunte ſehr, als ſie ſolche dort nicht mehr traf, vergebens nach ihr das ganze Haus durchſuchte. Wilhelm ward von dieſem neuen Zufalle ſogleich benach- richtigt, forſchte vergebens ingeheim in der ganzen Stadt nach ihr umher, durchlebte ei- nige Tage in quaalvoller Angſt, vergaß aber bald alles, als niemand ſie finden konnte, und der Gedanke, daß ſie ſich wahrſcheinlich im Fluſſe ertraͤnkt habe, immer mehr zur Gewißheit wurde.
Wie's kam und geſchah, daß Wilhelm ſo aͤußerſt undankbar, ſo grauſam an Ama-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0169"n="155"/>
Wie der Bothe zuruͤckkehrte, ging die Wir-<lb/>
thin mit dem Pulver nach Amaliens Zimmer;<lb/>ſie und ihre Maͤdchen hatten vorher einige<lb/>
Gaͤſte zu bewirthen gehabt, waren ſchon ſeit<lb/>
einer Stunde nicht bei der Kranken geweſen,<lb/>
und hielten's nicht fuͤr noͤthig, weil ſie ſtets<lb/>ſtill und meiſtens ſinnlos auf ihrem Bette<lb/>
lag. Die Wirthin erſtaunte ſehr, als ſie<lb/>ſolche dort nicht mehr traf, vergebens nach<lb/>
ihr das ganze Haus durchſuchte. Wilhelm<lb/>
ward von dieſem neuen Zufalle ſogleich benach-<lb/>
richtigt, forſchte vergebens ingeheim in der<lb/>
ganzen Stadt nach ihr umher, durchlebte ei-<lb/>
nige Tage in quaalvoller Angſt, vergaß aber<lb/>
bald alles, als niemand ſie finden konnte,<lb/>
und der Gedanke, daß ſie ſich wahrſcheinlich<lb/>
im Fluſſe ertraͤnkt habe, immer mehr zur<lb/>
Gewißheit wurde.</p><lb/><p>Wie's kam und geſchah, daß Wilhelm<lb/>ſo aͤußerſt undankbar, ſo grauſam an Ama-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[155/0169]
Wie der Bothe zuruͤckkehrte, ging die Wir-
thin mit dem Pulver nach Amaliens Zimmer;
ſie und ihre Maͤdchen hatten vorher einige
Gaͤſte zu bewirthen gehabt, waren ſchon ſeit
einer Stunde nicht bei der Kranken geweſen,
und hielten's nicht fuͤr noͤthig, weil ſie ſtets
ſtill und meiſtens ſinnlos auf ihrem Bette
lag. Die Wirthin erſtaunte ſehr, als ſie
ſolche dort nicht mehr traf, vergebens nach
ihr das ganze Haus durchſuchte. Wilhelm
ward von dieſem neuen Zufalle ſogleich benach-
richtigt, forſchte vergebens ingeheim in der
ganzen Stadt nach ihr umher, durchlebte ei-
nige Tage in quaalvoller Angſt, vergaß aber
bald alles, als niemand ſie finden konnte,
und der Gedanke, daß ſie ſich wahrſcheinlich
im Fluſſe ertraͤnkt habe, immer mehr zur
Gewißheit wurde.
Wie's kam und geſchah, daß Wilhelm
ſo aͤußerſt undankbar, ſo grauſam an Ama-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/169>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.