Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
Nothpfennige einige Groschen zulegen, damit die Armen wenigstens des Tags einmal ein Gemüß, und des Sonntags ein Stückchen Fleisch essen konnten. Die ungewohnte Arbeit schwächte seinen Körper, er konnte bald nicht mehr so fleißig, so anhaltend arbeiten; wie der Herbst nahte, und die meisten Gebäude schon fertig standen, so war er einer der ersten, welcher keine Arbeit mehr fand, er mußte den ganzen Winter hindurch von seinem wenigen Vermögen zehren, und sah zu spät ein, daß jede frohe Aussicht für ihn verlohren sei, und noch schrecklichere Noth seiner in der Zukunft harre. Im Frühjahre und Sommer gabs zwar wieder Arbeit, aber der Lohn derselben reichte abermals nicht zur Nahrung hin, täglich schmolz nebenbei sein kleines Kapital, täglich rückte der künftige Mangel näher. Wilhelmine duldete im Stillen, aber der innere Gram nagte an ihrem Körper, er begann zu welken, um diesen zu stär- ken, achtete Franz keiner Kosten, er betrog oft die Aermste mit erdichteten Geschenken, damit sie nur ohne Sorge die bessern Speisen genoß, welche sei- ne Liebe ihr zur Stärkung bereiten ließ. Sechs kummervolle Jahre waren auf ähnliche Art verflossen, und in dieser Zeit das ganze Ka- pital, auf welches einst die Unglücklichen alle ihre Hofnung gründeten, ungeachtet Franz fleißig ar- beitete, verzehrt worden, aber mit dem Untergan- ge dieser sonst einzigen Hofnung gieng eine neue auf, welche mehr Licht und Wärme versprach.
Nothpfennige einige Groſchen zulegen, damit die Armen wenigſtens des Tags einmal ein Gemuͤß, und des Sonntags ein Stuͤckchen Fleiſch eſſen konnten. Die ungewohnte Arbeit ſchwaͤchte ſeinen Koͤrper, er konnte bald nicht mehr ſo fleißig, ſo anhaltend arbeiten; wie der Herbſt nahte, und die meiſten Gebaͤude ſchon fertig ſtanden, ſo war er einer der erſten, welcher keine Arbeit mehr fand, er mußte den ganzen Winter hindurch von ſeinem wenigen Vermoͤgen zehren, und ſah zu ſpaͤt ein, daß jede frohe Ausſicht fuͤr ihn verlohren ſei, und noch ſchrecklichere Noth ſeiner in der Zukunft harre. Im Fruͤhjahre und Sommer gabs zwar wieder Arbeit, aber der Lohn derſelben reichte abermals nicht zur Nahrung hin, taͤglich ſchmolz nebenbei ſein kleines Kapital, taͤglich ruͤckte der kuͤnftige Mangel naͤher. Wilhelmine duldete im Stillen, aber der innere Gram nagte an ihrem Koͤrper, er begann zu welken, um dieſen zu ſtaͤr- ken, achtete Franz keiner Koſten, er betrog oft die Aermſte mit erdichteten Geſchenken, damit ſie nur ohne Sorge die beſſern Speiſen genoß, welche ſei- ne Liebe ihr zur Staͤrkung bereiten ließ. Sechs kummervolle Jahre waren auf aͤhnliche Art verfloſſen, und in dieſer Zeit das ganze Ka- pital, auf welches einſt die Ungluͤcklichen alle ihre Hofnung gruͤndeten, ungeachtet Franz fleißig ar- beitete, verzehrt worden, aber mit dem Untergan- ge dieſer ſonſt einzigen Hofnung gieng eine neue auf, welche mehr Licht und Waͤrme verſprach. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#WILH"> <p><pb facs="#f0097" n="89"/> Nothpfennige einige Groſchen zulegen, damit die<lb/> Armen wenigſtens des Tags einmal ein Gemuͤß,<lb/> und des Sonntags ein Stuͤckchen Fleiſch eſſen<lb/> konnten. Die ungewohnte Arbeit ſchwaͤchte ſeinen<lb/> Koͤrper, er konnte bald nicht mehr ſo fleißig, ſo<lb/> anhaltend arbeiten; wie der Herbſt nahte, und<lb/> die meiſten Gebaͤude ſchon fertig ſtanden, ſo war<lb/> er einer der erſten, welcher keine Arbeit mehr<lb/> fand, er mußte den ganzen Winter hindurch von<lb/> ſeinem wenigen Vermoͤgen zehren, und ſah zu ſpaͤt<lb/> ein, daß jede frohe Ausſicht fuͤr ihn verlohren ſei,<lb/> und noch ſchrecklichere Noth ſeiner in der Zukunft<lb/> harre. Im Fruͤhjahre und Sommer gabs zwar<lb/> wieder Arbeit, aber der Lohn derſelben reichte<lb/> abermals nicht zur Nahrung hin, taͤglich ſchmolz<lb/> nebenbei ſein kleines Kapital, taͤglich ruͤckte der<lb/> kuͤnftige Mangel naͤher. Wilhelmine duldete im<lb/> Stillen, aber der innere Gram nagte an ihrem<lb/> Koͤrper, er begann zu welken, um dieſen zu ſtaͤr-<lb/> ken, achtete Franz keiner Koſten, er betrog oft die<lb/> Aermſte mit erdichteten Geſchenken, damit ſie nur<lb/> ohne Sorge die beſſern Speiſen genoß, welche ſei-<lb/> ne Liebe ihr zur Staͤrkung bereiten ließ.</p><lb/> <p>Sechs kummervolle Jahre waren auf aͤhnliche<lb/> Art verfloſſen, und in dieſer Zeit das ganze Ka-<lb/> pital, auf welches einſt die Ungluͤcklichen alle ihre<lb/> Hofnung gruͤndeten, ungeachtet Franz fleißig ar-<lb/> beitete, verzehrt worden, aber mit dem Untergan-<lb/> ge dieſer ſonſt einzigen Hofnung gieng eine neue<lb/> auf, welche mehr Licht und Waͤrme verſprach.<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [89/0097]
Nothpfennige einige Groſchen zulegen, damit die
Armen wenigſtens des Tags einmal ein Gemuͤß,
und des Sonntags ein Stuͤckchen Fleiſch eſſen
konnten. Die ungewohnte Arbeit ſchwaͤchte ſeinen
Koͤrper, er konnte bald nicht mehr ſo fleißig, ſo
anhaltend arbeiten; wie der Herbſt nahte, und
die meiſten Gebaͤude ſchon fertig ſtanden, ſo war
er einer der erſten, welcher keine Arbeit mehr
fand, er mußte den ganzen Winter hindurch von
ſeinem wenigen Vermoͤgen zehren, und ſah zu ſpaͤt
ein, daß jede frohe Ausſicht fuͤr ihn verlohren ſei,
und noch ſchrecklichere Noth ſeiner in der Zukunft
harre. Im Fruͤhjahre und Sommer gabs zwar
wieder Arbeit, aber der Lohn derſelben reichte
abermals nicht zur Nahrung hin, taͤglich ſchmolz
nebenbei ſein kleines Kapital, taͤglich ruͤckte der
kuͤnftige Mangel naͤher. Wilhelmine duldete im
Stillen, aber der innere Gram nagte an ihrem
Koͤrper, er begann zu welken, um dieſen zu ſtaͤr-
ken, achtete Franz keiner Koſten, er betrog oft die
Aermſte mit erdichteten Geſchenken, damit ſie nur
ohne Sorge die beſſern Speiſen genoß, welche ſei-
ne Liebe ihr zur Staͤrkung bereiten ließ.
Sechs kummervolle Jahre waren auf aͤhnliche
Art verfloſſen, und in dieſer Zeit das ganze Ka-
pital, auf welches einſt die Ungluͤcklichen alle ihre
Hofnung gruͤndeten, ungeachtet Franz fleißig ar-
beitete, verzehrt worden, aber mit dem Untergan-
ge dieſer ſonſt einzigen Hofnung gieng eine neue
auf, welche mehr Licht und Waͤrme verſprach.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |