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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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nicht erwiederte, wohl gar die Hand zitternd zu-
rücke zog.

Eben hatte die schmachtende Wilhelmine mit
ihrem Herzen Rath gehalten, und war belehrt
worden, daß es nicht länger hoffnungslos schmach-
ten wolle, als Franz in ihr Zimmer trat. Sie
kannte seine Schritte schon von Ferne, und freute
sich seiner Ankunft. Er machte ihr sein gewöhn-
liches, ehrfurchtsvolles Kompliment, und trat
stillschweigend ans Fenster. Die tiefen Seufzer,
welche dann und wann willkührlich seine Brust
hoben, überzeugten Wilhelminen, daß ihr Lieb-
ling leide, sie forschte theilnehmend nach der Ur-
sache seines Kummers.

Franz. Der Pfarrer zu L -- ist heute Nacht
gestorben.
Wilhelmine. Tröste Gott seine arme Witt-
we, seine unerzogenen Kinder.
Franz. (stotternd) Der Herr Baron
hatten die Gnade, mir zu versprechen -- --
Wenn sie keine Mühe, keinen Fleiß im Unter-
richte meiner Tochter sparen, sagte er, so sollen
sie die erste ledige Pfarrstelle erhalten. -- -- Ich
weiß nun nicht, ob ich von dieser Seite einiges
Lob verdiene, ob ich -- --
Wilhelmine. (feurig) Und sollte ich
mir auch für die Zukunft alles Vergnügen, alle
Freude rauben, so werde ich doch ihren Verdien-
sten das beste Zeugniß nicht versagen.

nicht erwiederte, wohl gar die Hand zitternd zu-
ruͤcke zog.

Eben hatte die ſchmachtende Wilhelmine mit
ihrem Herzen Rath gehalten, und war belehrt
worden, daß es nicht laͤnger hoffnungslos ſchmach-
ten wolle, als Franz in ihr Zimmer trat. Sie
kannte ſeine Schritte ſchon von Ferne, und freute
ſich ſeiner Ankunft. Er machte ihr ſein gewoͤhn-
liches, ehrfurchtsvolles Kompliment, und trat
ſtillſchweigend ans Fenſter. Die tiefen Seufzer,
welche dann und wann willkuͤhrlich ſeine Bruſt
hoben, uͤberzeugten Wilhelminen, daß ihr Lieb-
ling leide, ſie forſchte theilnehmend nach der Ur-
ſache ſeines Kummers.

Franz. Der Pfarrer zu L — iſt heute Nacht
geſtorben.
Wilhelmine. Troͤſte Gott ſeine arme Witt-
we, ſeine unerzogenen Kinder.
Franz. (ſtotternd) Der Herr Baron
hatten die Gnade, mir zu verſprechen — —
Wenn ſie keine Muͤhe, keinen Fleiß im Unter-
richte meiner Tochter ſparen, ſagte er, ſo ſollen
ſie die erſte ledige Pfarrſtelle erhalten. — — Ich
weiß nun nicht, ob ich von dieſer Seite einiges
Lob verdiene, ob ich — —
Wilhelmine. (feurig) Und ſollte ich
mir auch fuͤr die Zukunft alles Vergnuͤgen, alle
Freude rauben, ſo werde ich doch ihren Verdien-
ſten das beſte Zeugniß nicht verſagen.

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[72/0080] nicht erwiederte, wohl gar die Hand zitternd zu- ruͤcke zog. Eben hatte die ſchmachtende Wilhelmine mit ihrem Herzen Rath gehalten, und war belehrt worden, daß es nicht laͤnger hoffnungslos ſchmach- ten wolle, als Franz in ihr Zimmer trat. Sie kannte ſeine Schritte ſchon von Ferne, und freute ſich ſeiner Ankunft. Er machte ihr ſein gewoͤhn- liches, ehrfurchtsvolles Kompliment, und trat ſtillſchweigend ans Fenſter. Die tiefen Seufzer, welche dann und wann willkuͤhrlich ſeine Bruſt hoben, uͤberzeugten Wilhelminen, daß ihr Lieb- ling leide, ſie forſchte theilnehmend nach der Ur- ſache ſeines Kummers. Franz. Der Pfarrer zu L — iſt heute Nacht geſtorben. Wilhelmine. Troͤſte Gott ſeine arme Witt- we, ſeine unerzogenen Kinder. Franz. (ſtotternd) Der Herr Baron hatten die Gnade, mir zu verſprechen — — Wenn ſie keine Muͤhe, keinen Fleiß im Unter- richte meiner Tochter ſparen, ſagte er, ſo ſollen ſie die erſte ledige Pfarrſtelle erhalten. — — Ich weiß nun nicht, ob ich von dieſer Seite einiges Lob verdiene, ob ich — — Wilhelmine. (feurig) Und ſollte ich mir auch fuͤr die Zukunft alles Vergnuͤgen, alle Freude rauben, ſo werde ich doch ihren Verdien- ſten das beſte Zeugniß nicht verſagen.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/80>, abgerufen am 22.11.2024.