und nach kurzer Zeit so innigen Geschmack an der Musik, daß sie oft den ganzen Tag dazu verwen- dete, und bald auch in dieser Kunst die Bewun- derung aller erregte. Franzens Eifer ermüdete nie, er war wirklich sehr geschickt, und erfand verschiedene Methoden, wodurch er seiner blinden Schülerin den Unterricht sehr erleichterte. Sie war dankbar, und lohnte seine Mühe mit ansehn- lichen Geschenken. Er sang einen äußerst ange- nehmen Tenor, mußte Wilhelminen oft stunden- lang vorsingen, und erndete ihren Beifall im vol- len Maße.
Ehe noch ein Jahr vergieng, fühlte Wilhel- mine, daß nicht allein Dankbarkeit, sondern auch wahre, ächte Liebe ihr Franzens Umgang so an- genehm und nothwendig machten. Der seltene Eifer des Jünglings, seine unermüdete Geduld im Unterrichte, seine edle Seele, sein gutes red- liches Herz, das sich bei jeder Gelegenheit so vor- theilhaft auszeichnete, seine sanfte, melodische Stimme, das allgemeine Lob seiner Schönheit, hatte unbemerkt ihr Herz gefesselt, und fieng nun mächtig an, Gegenliebe zu heischen. Oft sprach sie mit ihm von seiner künftigen Bestimmung, und forschte dann ängstlich: Ob er sich schon eine Gattin auserkohren habe? Freudig klopfte ihr Herz, wenn der gute Jüngling diese Frage im aufrichtigsten Tone verneinte, aber weh that es auch diesem, wenn er den sanften Händedruck, den er zum Lohne für diese Nachricht erhielt,
und nach kurzer Zeit ſo innigen Geſchmack an der Muſik, daß ſie oft den ganzen Tag dazu verwen- dete, und bald auch in dieſer Kunſt die Bewun- derung aller erregte. Franzens Eifer ermuͤdete nie, er war wirklich ſehr geſchickt, und erfand verſchiedene Methoden, wodurch er ſeiner blinden Schuͤlerin den Unterricht ſehr erleichterte. Sie war dankbar, und lohnte ſeine Muͤhe mit anſehn- lichen Geſchenken. Er ſang einen aͤußerſt ange- nehmen Tenor, mußte Wilhelminen oft ſtunden- lang vorſingen, und erndete ihren Beifall im vol- len Maße.
Ehe noch ein Jahr vergieng, fuͤhlte Wilhel- mine, daß nicht allein Dankbarkeit, ſondern auch wahre, aͤchte Liebe ihr Franzens Umgang ſo an- genehm und nothwendig machten. Der ſeltene Eifer des Juͤnglings, ſeine unermuͤdete Geduld im Unterrichte, ſeine edle Seele, ſein gutes red- liches Herz, das ſich bei jeder Gelegenheit ſo vor- theilhaft auszeichnete, ſeine ſanfte, melodiſche Stimme, das allgemeine Lob ſeiner Schoͤnheit, hatte unbemerkt ihr Herz gefeſſelt, und fieng nun maͤchtig an, Gegenliebe zu heiſchen. Oft ſprach ſie mit ihm von ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung, und forſchte dann aͤngſtlich: Ob er ſich ſchon eine Gattin auserkohren habe? Freudig klopfte ihr Herz, wenn der gute Juͤngling dieſe Frage im aufrichtigſten Tone verneinte, aber weh that es auch dieſem, wenn er den ſanften Haͤndedruck, den er zum Lohne fuͤr dieſe Nachricht erhielt,
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und nach kurzer Zeit ſo innigen Geſchmack an der
Muſik, daß ſie oft den ganzen Tag dazu verwen-
dete, und bald auch in dieſer Kunſt die Bewun-
derung aller erregte. Franzens Eifer ermuͤdete
nie, er war wirklich ſehr geſchickt, und erfand
verſchiedene Methoden, wodurch er ſeiner blinden
Schuͤlerin den Unterricht ſehr erleichterte. Sie
war dankbar, und lohnte ſeine Muͤhe mit anſehn-
lichen Geſchenken. Er ſang einen aͤußerſt ange-
nehmen Tenor, mußte Wilhelminen oft ſtunden-
lang vorſingen, und erndete ihren Beifall im vol-
len Maße.
Ehe noch ein Jahr vergieng, fuͤhlte Wilhel-
mine, daß nicht allein Dankbarkeit, ſondern auch
wahre, aͤchte Liebe ihr Franzens Umgang ſo an-
genehm und nothwendig machten. Der ſeltene
Eifer des Juͤnglings, ſeine unermuͤdete Geduld
im Unterrichte, ſeine edle Seele, ſein gutes red-
liches Herz, das ſich bei jeder Gelegenheit ſo vor-
theilhaft auszeichnete, ſeine ſanfte, melodiſche
Stimme, das allgemeine Lob ſeiner Schoͤnheit,
hatte unbemerkt ihr Herz gefeſſelt, und fieng nun
maͤchtig an, Gegenliebe zu heiſchen. Oft ſprach
ſie mit ihm von ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung, und
forſchte dann aͤngſtlich: Ob er ſich ſchon eine
Gattin auserkohren habe? Freudig klopfte ihr
Herz, wenn der gute Juͤngling dieſe Frage im
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auch dieſem, wenn er den ſanften Haͤndedruck,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/79>, abgerufen am 16.07.2024.
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