mußten. Sie sprach französisch, englisch, und italienisch, und verdankte diese Sprachkenntniß mehr ihrem vortreflichen Gedächtnisse, als der Geschicklichkeit ihrer Lehrer.
Wie sie sechszehn Jahr alt war, äußerte sie ein heftiges Verlangen den Flügel spielen zu ler- nen. Der Sohn des Schulmeisters, welcher im nahen Dorfe wohnte, war eben von der Univer- sität zurückgekommen, er spielte an einem Sonn- tage mit großer Geschwindigkeit und mit noch größerer Anmuth die Orgel, sein Spiel entzückte Wilhelminen, sie wünschte eben so schön zu spie- len, und Franz, so hieß des Schulmeisters Sohn, ward bald hernach ihr Lehrer.
Franz war ein schöner, sanfter Jüngling, er hatte nach des Vaters Willen die Theologie stu- diert, und sollte, wenn der Himmel seinen Segen und der Baron seinen Willen dazu gäbe, einst auf den Gütern des letztern eine Pfarre erhalten. Vater und Sohn waren gleich stark erfreut, als ihnen der Baron das Verlangen seiner Tochter vortrug, und in den gnädigsten Ausdrücken hinzu- fügte, daß, wenn seine Mühe mit gutem Erfolge gekrönt würde, er zum Lohne die erste ledige Pfarre erhalten sollte.
Wie der Flügel, samt einem prächtigen Forte- piano aus der Stadt anlangte, zog Franz aufs Schloß, und begann seinen Unterricht. Anfangs schränkte sich dieser nur auf zwei Stunden des Tages ein, bald fand aber Wilhelmine größern
mußten. Sie ſprach franzoͤſiſch, engliſch, und italieniſch, und verdankte dieſe Sprachkenntniß mehr ihrem vortreflichen Gedaͤchtniſſe, als der Geſchicklichkeit ihrer Lehrer.
Wie ſie ſechszehn Jahr alt war, aͤußerte ſie ein heftiges Verlangen den Fluͤgel ſpielen zu ler- nen. Der Sohn des Schulmeiſters, welcher im nahen Dorfe wohnte, war eben von der Univer- ſitaͤt zuruͤckgekommen, er ſpielte an einem Sonn- tage mit großer Geſchwindigkeit und mit noch groͤßerer Anmuth die Orgel, ſein Spiel entzuͤckte Wilhelminen, ſie wuͤnſchte eben ſo ſchoͤn zu ſpie- len, und Franz, ſo hieß des Schulmeiſters Sohn, ward bald hernach ihr Lehrer.
Franz war ein ſchoͤner, ſanfter Juͤngling, er hatte nach des Vaters Willen die Theologie ſtu- diert, und ſollte, wenn der Himmel ſeinen Segen und der Baron ſeinen Willen dazu gaͤbe, einſt auf den Guͤtern des letztern eine Pfarre erhalten. Vater und Sohn waren gleich ſtark erfreut, als ihnen der Baron das Verlangen ſeiner Tochter vortrug, und in den gnaͤdigſten Ausdruͤcken hinzu- fuͤgte, daß, wenn ſeine Muͤhe mit gutem Erfolge gekroͤnt wuͤrde, er zum Lohne die erſte ledige Pfarre erhalten ſollte.
Wie der Fluͤgel, ſamt einem praͤchtigen Forte- piano aus der Stadt anlangte, zog Franz aufs Schloß, und begann ſeinen Unterricht. Anfangs ſchraͤnkte ſich dieſer nur auf zwei Stunden des Tages ein, bald fand aber Wilhelmine groͤßern
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0078"n="70"/>
mußten. Sie ſprach franzoͤſiſch, engliſch, und<lb/>
italieniſch, und verdankte dieſe Sprachkenntniß<lb/>
mehr ihrem vortreflichen Gedaͤchtniſſe, als der<lb/>
Geſchicklichkeit ihrer Lehrer.</p><lb/><p>Wie ſie ſechszehn Jahr alt war, aͤußerte ſie<lb/>
ein heftiges Verlangen den Fluͤgel ſpielen zu ler-<lb/>
nen. Der Sohn des Schulmeiſters, welcher im<lb/>
nahen Dorfe wohnte, war eben von der Univer-<lb/>ſitaͤt zuruͤckgekommen, er ſpielte an einem Sonn-<lb/>
tage mit großer Geſchwindigkeit und mit noch<lb/>
groͤßerer Anmuth die Orgel, ſein Spiel entzuͤckte<lb/>
Wilhelminen, ſie wuͤnſchte eben ſo ſchoͤn zu ſpie-<lb/>
len, und Franz, ſo hieß des Schulmeiſters Sohn,<lb/>
ward bald hernach ihr Lehrer.</p><lb/><p>Franz war ein ſchoͤner, ſanfter Juͤngling, er<lb/>
hatte nach des Vaters Willen die Theologie ſtu-<lb/>
diert, und ſollte, wenn der Himmel ſeinen Segen<lb/>
und der Baron ſeinen Willen dazu gaͤbe, einſt auf<lb/>
den Guͤtern des letztern eine Pfarre erhalten.<lb/>
Vater und Sohn waren gleich ſtark erfreut, als<lb/>
ihnen der Baron das Verlangen ſeiner Tochter<lb/>
vortrug, und in den gnaͤdigſten Ausdruͤcken hinzu-<lb/>
fuͤgte, daß, wenn ſeine Muͤhe mit gutem Erfolge<lb/>
gekroͤnt wuͤrde, er zum Lohne die erſte ledige<lb/>
Pfarre erhalten ſollte.</p><lb/><p>Wie der Fluͤgel, ſamt einem praͤchtigen Forte-<lb/>
piano aus der Stadt anlangte, zog Franz aufs<lb/>
Schloß, und begann ſeinen Unterricht. Anfangs<lb/>ſchraͤnkte ſich dieſer nur auf zwei Stunden des<lb/>
Tages ein, bald fand aber Wilhelmine groͤßern<lb/></p></div></body></text></TEI>
[70/0078]
mußten. Sie ſprach franzoͤſiſch, engliſch, und
italieniſch, und verdankte dieſe Sprachkenntniß
mehr ihrem vortreflichen Gedaͤchtniſſe, als der
Geſchicklichkeit ihrer Lehrer.
Wie ſie ſechszehn Jahr alt war, aͤußerte ſie
ein heftiges Verlangen den Fluͤgel ſpielen zu ler-
nen. Der Sohn des Schulmeiſters, welcher im
nahen Dorfe wohnte, war eben von der Univer-
ſitaͤt zuruͤckgekommen, er ſpielte an einem Sonn-
tage mit großer Geſchwindigkeit und mit noch
groͤßerer Anmuth die Orgel, ſein Spiel entzuͤckte
Wilhelminen, ſie wuͤnſchte eben ſo ſchoͤn zu ſpie-
len, und Franz, ſo hieß des Schulmeiſters Sohn,
ward bald hernach ihr Lehrer.
Franz war ein ſchoͤner, ſanfter Juͤngling, er
hatte nach des Vaters Willen die Theologie ſtu-
diert, und ſollte, wenn der Himmel ſeinen Segen
und der Baron ſeinen Willen dazu gaͤbe, einſt auf
den Guͤtern des letztern eine Pfarre erhalten.
Vater und Sohn waren gleich ſtark erfreut, als
ihnen der Baron das Verlangen ſeiner Tochter
vortrug, und in den gnaͤdigſten Ausdruͤcken hinzu-
fuͤgte, daß, wenn ſeine Muͤhe mit gutem Erfolge
gekroͤnt wuͤrde, er zum Lohne die erſte ledige
Pfarre erhalten ſollte.
Wie der Fluͤgel, ſamt einem praͤchtigen Forte-
piano aus der Stadt anlangte, zog Franz aufs
Schloß, und begann ſeinen Unterricht. Anfangs
ſchraͤnkte ſich dieſer nur auf zwei Stunden des
Tages ein, bald fand aber Wilhelmine groͤßern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/78>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.