und man unterdrückte absichtlich die ganze Bege- benheit, weil man sich Vorwürfe machte, daß man eine Nonne an eine protestantische Fürstin ausgeliefert habe.
Diese erhabne Edle genoß die Früchte ihrer Wohlthaten nicht, die unglückliche Wahnsinnige nahm sie für ihre Mutter, welche sich ihre Ein- bildungskraft zwar einst todt, aber jetzt wieder lebend dachte. Sie machte der Großmüthigen die heftigsten Vorwürfe, forderte im Namen ihres Kindes die Güter zurück, welche sie ihr einst ent- rissen hätte, und behauptete kühn, daß der Fürstin Schloß diesem gehöre. Die Fürstin beweinte die Unglückliche noch oft, sie räumte ihr ein schönes Haus zu ihrer Wohnung ein, ließ sie anständig bedienen, und sorgfältig verpflegen. Sie verwei- gerte sie schlechterdings den Nonnen, welche, durch die Mönche von ihrem Leben und Aufenthalte un- terrichtet, um ihre Auslieferung ansuchten.
Die Unglückliche ward nach einem halben Jah- re krank, und eine heftige Lungenentzündung ende- te ihr Leben. Zwei Tage vor ihrem Tode kehrte ihr Verstand vollkommen zurück, man meldete es der Fürstin, sie eilte herbei, und die Kranke dank- te ihr jetzt mit einer Innigkeit, die allen Anwe- senden Thränen entlockte. Auf ausdrücklichen Be- fehl der Fürstin ward der Ring und der Hauben- stock, welchen sie im Todeskampfe wieder forderte und an ihr Herz drückte, mit ihr begraben. Ihr
Zweit. Bändch. E
und man unterdruͤckte abſichtlich die ganze Bege- benheit, weil man ſich Vorwuͤrfe machte, daß man eine Nonne an eine proteſtantiſche Fuͤrſtin ausgeliefert habe.
Dieſe erhabne Edle genoß die Fruͤchte ihrer Wohlthaten nicht, die ungluͤckliche Wahnſinnige nahm ſie fuͤr ihre Mutter, welche ſich ihre Ein- bildungskraft zwar einſt todt, aber jetzt wieder lebend dachte. Sie machte der Großmuͤthigen die heftigſten Vorwuͤrfe, forderte im Namen ihres Kindes die Guͤter zuruͤck, welche ſie ihr einſt ent- riſſen haͤtte, und behauptete kuͤhn, daß der Fuͤrſtin Schloß dieſem gehoͤre. Die Fuͤrſtin beweinte die Ungluͤckliche noch oft, ſie raͤumte ihr ein ſchoͤnes Haus zu ihrer Wohnung ein, ließ ſie anſtaͤndig bedienen, und ſorgfaͤltig verpflegen. Sie verwei- gerte ſie ſchlechterdings den Nonnen, welche, durch die Moͤnche von ihrem Leben und Aufenthalte un- terrichtet, um ihre Auslieferung anſuchten.
Die Ungluͤckliche ward nach einem halben Jah- re krank, und eine heftige Lungenentzuͤndung ende- te ihr Leben. Zwei Tage vor ihrem Tode kehrte ihr Verſtand vollkommen zuruͤck, man meldete es der Fuͤrſtin, ſie eilte herbei, und die Kranke dank- te ihr jetzt mit einer Innigkeit, die allen Anwe- ſenden Thraͤnen entlockte. Auf ausdruͤcklichen Be- fehl der Fuͤrſtin ward der Ring und der Hauben- ſtock, welchen ſie im Todeskampfe wieder forderte und an ihr Herz druͤckte, mit ihr begraben. Ihr
Zweit. Baͤndch. E
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0073"n="65"/>
und man unterdruͤckte abſichtlich die ganze Bege-<lb/>
benheit, weil man ſich Vorwuͤrfe machte, daß<lb/>
man eine Nonne an eine proteſtantiſche Fuͤrſtin<lb/>
ausgeliefert habe.</p><lb/><p>Dieſe erhabne Edle genoß die Fruͤchte ihrer<lb/>
Wohlthaten nicht, die ungluͤckliche Wahnſinnige<lb/>
nahm ſie fuͤr ihre Mutter, welche ſich ihre Ein-<lb/>
bildungskraft zwar einſt todt, aber jetzt wieder<lb/>
lebend dachte. Sie machte der Großmuͤthigen die<lb/>
heftigſten Vorwuͤrfe, forderte im Namen ihres<lb/>
Kindes die Guͤter zuruͤck, welche ſie ihr einſt ent-<lb/>
riſſen haͤtte, und behauptete kuͤhn, daß der Fuͤrſtin<lb/>
Schloß dieſem gehoͤre. Die Fuͤrſtin beweinte die<lb/>
Ungluͤckliche noch oft, ſie raͤumte ihr ein ſchoͤnes<lb/>
Haus zu ihrer Wohnung ein, ließ ſie anſtaͤndig<lb/>
bedienen, und ſorgfaͤltig verpflegen. Sie verwei-<lb/>
gerte ſie ſchlechterdings den Nonnen, welche, durch<lb/>
die Moͤnche von ihrem Leben und Aufenthalte un-<lb/>
terrichtet, um ihre Auslieferung anſuchten.</p><lb/><p>Die Ungluͤckliche ward nach einem halben Jah-<lb/>
re krank, und eine heftige Lungenentzuͤndung ende-<lb/>
te ihr Leben. Zwei Tage vor ihrem Tode kehrte<lb/>
ihr Verſtand vollkommen zuruͤck, man meldete es<lb/>
der Fuͤrſtin, ſie eilte herbei, und die Kranke dank-<lb/>
te ihr jetzt mit einer Innigkeit, die allen Anwe-<lb/>ſenden Thraͤnen entlockte. Auf ausdruͤcklichen Be-<lb/>
fehl der Fuͤrſtin ward der Ring und der Hauben-<lb/>ſtock, welchen ſie im Todeskampfe wieder forderte<lb/>
und an ihr Herz druͤckte, mit ihr begraben. Ihr<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Zweit. Baͤndch. E</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[65/0073]
und man unterdruͤckte abſichtlich die ganze Bege-
benheit, weil man ſich Vorwuͤrfe machte, daß
man eine Nonne an eine proteſtantiſche Fuͤrſtin
ausgeliefert habe.
Dieſe erhabne Edle genoß die Fruͤchte ihrer
Wohlthaten nicht, die ungluͤckliche Wahnſinnige
nahm ſie fuͤr ihre Mutter, welche ſich ihre Ein-
bildungskraft zwar einſt todt, aber jetzt wieder
lebend dachte. Sie machte der Großmuͤthigen die
heftigſten Vorwuͤrfe, forderte im Namen ihres
Kindes die Guͤter zuruͤck, welche ſie ihr einſt ent-
riſſen haͤtte, und behauptete kuͤhn, daß der Fuͤrſtin
Schloß dieſem gehoͤre. Die Fuͤrſtin beweinte die
Ungluͤckliche noch oft, ſie raͤumte ihr ein ſchoͤnes
Haus zu ihrer Wohnung ein, ließ ſie anſtaͤndig
bedienen, und ſorgfaͤltig verpflegen. Sie verwei-
gerte ſie ſchlechterdings den Nonnen, welche, durch
die Moͤnche von ihrem Leben und Aufenthalte un-
terrichtet, um ihre Auslieferung anſuchten.
Die Ungluͤckliche ward nach einem halben Jah-
re krank, und eine heftige Lungenentzuͤndung ende-
te ihr Leben. Zwei Tage vor ihrem Tode kehrte
ihr Verſtand vollkommen zuruͤck, man meldete es
der Fuͤrſtin, ſie eilte herbei, und die Kranke dank-
te ihr jetzt mit einer Innigkeit, die allen Anwe-
ſenden Thraͤnen entlockte. Auf ausdruͤcklichen Be-
fehl der Fuͤrſtin ward der Ring und der Hauben-
ſtock, welchen ſie im Todeskampfe wieder forderte
und an ihr Herz druͤckte, mit ihr begraben. Ihr
Zweit. Baͤndch. E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/73>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.