Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Monate seines Alters gestorben wäre. Lange Zeit
nachher kam zur Nachtszeit Feuer im Kloster aus,
es wüthete eben ein gewaltiger Sturmwind, und
ehe die schlafenden Nonnen erwachten, standen
schon alle Gebäude in hellen Flammen. Alles
rettete sich in der größten Eile und Verwirrung,
wie sich die Nonnen am Morgen wieder sammel-
ten, vermißten sie viere ihrer Mitschwestern, und
unter diesen auch die unglückliche Karoline. Alle
glaubten, daß auch sie ein Raub der Flamme
geworden sei, und -- Ehre dem Ehre gebühret --
viele weihten ihrer Asche eine dankbare Thräne,
denn nur ihr großes Vermögen setzte die Nonnen
in Stand, das Kloster schnell, weit schöner, und
ohne Schulden wieder aufbauen zu können.

Daß Karoline nicht in den Flammen umkam,
daß sie sogar auch daß Kind ihres Wahnsinns
rettete, beweist die Folge, wie sie aber entkam,
und ungehindert den weiten Weg nach Böhmen
machte, wie sie sich endlich auf dieser Reise er-
nährte, bin ich nicht im Stande zu erzählen.
Eben so wenig vermag ich die Ursache anzugeben:
Wie es geschehen konnte, daß eine Wahnsinnige
ihre eigne, wahre Lebensgeschichte so ganz ver-
gaß, und dagegen eine erdichtete, aber doch sehr
wahrscheinliche Geschichte erfand? Die Wirkungen
des Wahnsinnes sind oft sehr merkwürdig; nur
schade, daß ich sie hier nicht enthüllen kann.
Wenn man die Zeit, in welcher das Kloster ab-
brannte, mit ihrer Ankunft in Böhmen vergleicht,

Monate ſeines Alters geſtorben waͤre. Lange Zeit
nachher kam zur Nachtszeit Feuer im Kloſter aus,
es wuͤthete eben ein gewaltiger Sturmwind, und
ehe die ſchlafenden Nonnen erwachten, ſtanden
ſchon alle Gebaͤude in hellen Flammen. Alles
rettete ſich in der groͤßten Eile und Verwirrung,
wie ſich die Nonnen am Morgen wieder ſammel-
ten, vermißten ſie viere ihrer Mitſchweſtern, und
unter dieſen auch die ungluͤckliche Karoline. Alle
glaubten, daß auch ſie ein Raub der Flamme
geworden ſei, und — Ehre dem Ehre gebuͤhret —
viele weihten ihrer Aſche eine dankbare Thraͤne,
denn nur ihr großes Vermoͤgen ſetzte die Nonnen
in Stand, das Kloſter ſchnell, weit ſchoͤner, und
ohne Schulden wieder aufbauen zu koͤnnen.

Daß Karoline nicht in den Flammen umkam,
daß ſie ſogar auch daß Kind ihres Wahnſinns
rettete, beweiſt die Folge, wie ſie aber entkam,
und ungehindert den weiten Weg nach Boͤhmen
machte, wie ſie ſich endlich auf dieſer Reiſe er-
naͤhrte, bin ich nicht im Stande zu erzaͤhlen.
Eben ſo wenig vermag ich die Urſache anzugeben:
Wie es geſchehen konnte, daß eine Wahnſinnige
ihre eigne, wahre Lebensgeſchichte ſo ganz ver-
gaß, und dagegen eine erdichtete, aber doch ſehr
wahrſcheinliche Geſchichte erfand? Die Wirkungen
des Wahnſinnes ſind oft ſehr merkwuͤrdig; nur
ſchade, daß ich ſie hier nicht enthuͤllen kann.
Wenn man die Zeit, in welcher das Kloſter ab-
brannte, mit ihrer Ankunft in Boͤhmen vergleicht,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="61"/>
Monate &#x017F;eines Alters ge&#x017F;torben wa&#x0364;re. Lange Zeit<lb/>
nachher kam zur Nachtszeit Feuer im Klo&#x017F;ter aus,<lb/>
es wu&#x0364;thete eben ein gewaltiger Sturmwind, und<lb/>
ehe die &#x017F;chlafenden Nonnen erwachten, &#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;chon alle Geba&#x0364;ude in hellen Flammen. Alles<lb/>
rettete &#x017F;ich in der gro&#x0364;ßten Eile und Verwirrung,<lb/>
wie &#x017F;ich die Nonnen am Morgen wieder &#x017F;ammel-<lb/>
ten, vermißten &#x017F;ie viere ihrer Mit&#x017F;chwe&#x017F;tern, und<lb/>
unter die&#x017F;en auch die unglu&#x0364;ckliche Karoline. Alle<lb/>
glaubten, daß auch &#x017F;ie ein Raub der Flamme<lb/>
geworden &#x017F;ei, und &#x2014; Ehre dem Ehre gebu&#x0364;hret &#x2014;<lb/>
viele weihten ihrer A&#x017F;che eine dankbare Thra&#x0364;ne,<lb/>
denn nur ihr großes Vermo&#x0364;gen &#x017F;etzte die Nonnen<lb/>
in Stand, das Klo&#x017F;ter &#x017F;chnell, weit &#x017F;cho&#x0364;ner, und<lb/>
ohne Schulden wieder aufbauen zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Daß Karoline nicht in den Flammen umkam,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ogar auch daß Kind ihres Wahn&#x017F;inns<lb/>
rettete, bewei&#x017F;t die Folge, wie &#x017F;ie aber entkam,<lb/>
und ungehindert den weiten Weg nach Bo&#x0364;hmen<lb/>
machte, wie &#x017F;ie &#x017F;ich endlich auf die&#x017F;er Rei&#x017F;e er-<lb/>
na&#x0364;hrte, bin ich nicht im Stande zu erza&#x0364;hlen.<lb/>
Eben &#x017F;o wenig vermag ich die Ur&#x017F;ache anzugeben:<lb/>
Wie es ge&#x017F;chehen konnte, daß eine Wahn&#x017F;innige<lb/>
ihre eigne, wahre Lebensge&#x017F;chichte &#x017F;o ganz ver-<lb/>
gaß, und dagegen eine erdichtete, aber doch &#x017F;ehr<lb/>
wahr&#x017F;cheinliche Ge&#x017F;chichte erfand? Die Wirkungen<lb/>
des Wahn&#x017F;innes &#x017F;ind oft &#x017F;ehr merkwu&#x0364;rdig; nur<lb/>
&#x017F;chade, daß ich &#x017F;ie hier nicht enthu&#x0364;llen kann.<lb/>
Wenn man die Zeit, in welcher das Klo&#x017F;ter ab-<lb/>
brannte, mit ihrer Ankunft in Bo&#x0364;hmen vergleicht,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] Monate ſeines Alters geſtorben waͤre. Lange Zeit nachher kam zur Nachtszeit Feuer im Kloſter aus, es wuͤthete eben ein gewaltiger Sturmwind, und ehe die ſchlafenden Nonnen erwachten, ſtanden ſchon alle Gebaͤude in hellen Flammen. Alles rettete ſich in der groͤßten Eile und Verwirrung, wie ſich die Nonnen am Morgen wieder ſammel- ten, vermißten ſie viere ihrer Mitſchweſtern, und unter dieſen auch die ungluͤckliche Karoline. Alle glaubten, daß auch ſie ein Raub der Flamme geworden ſei, und — Ehre dem Ehre gebuͤhret — viele weihten ihrer Aſche eine dankbare Thraͤne, denn nur ihr großes Vermoͤgen ſetzte die Nonnen in Stand, das Kloſter ſchnell, weit ſchoͤner, und ohne Schulden wieder aufbauen zu koͤnnen. Daß Karoline nicht in den Flammen umkam, daß ſie ſogar auch daß Kind ihres Wahnſinns rettete, beweiſt die Folge, wie ſie aber entkam, und ungehindert den weiten Weg nach Boͤhmen machte, wie ſie ſich endlich auf dieſer Reiſe er- naͤhrte, bin ich nicht im Stande zu erzaͤhlen. Eben ſo wenig vermag ich die Urſache anzugeben: Wie es geſchehen konnte, daß eine Wahnſinnige ihre eigne, wahre Lebensgeſchichte ſo ganz ver- gaß, und dagegen eine erdichtete, aber doch ſehr wahrſcheinliche Geſchichte erfand? Die Wirkungen des Wahnſinnes ſind oft ſehr merkwuͤrdig; nur ſchade, daß ich ſie hier nicht enthuͤllen kann. Wenn man die Zeit, in welcher das Kloſter ab- brannte, mit ihrer Ankunft in Boͤhmen vergleicht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/69
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/69>, abgerufen am 22.11.2024.