Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

genden Nacht eine gesunde Tochter. Wie die
Wärterin solche in ihre Arme legte, und Karoline
ihres Gatten Ebenbild in ihr erblickte, da siegte
Natur und Liebe, das Gefühl einer Mutter er-
wachte, Freude und Wonne kehrte in ihr ödes
Herz zurück, sie äußerte solche durch Worte, und
sprach in dieser Stunde mehr, als sie die ganze
Zeit vorher gesprochen hatte.

Am Morgen meldete die Wärterin der Aebtis-
sin die Geburt des Kindes; da schon im Voraus
geheime Anstalt getroffen war, so befahl diese so-
gleich, die bestellte Amme zu rufen, und ihr das
Kind zu übergeben. Karoline war eben in ersten
ruhigen Schlaf versunken, als man ihr das
Schmerzenskind sanft aus ihren mütterlichen Ar-
men nahm, und es aus dem Kloster sandte.
Wie sie erwachte, blickte sie ängstlich umher, und
forschte nach ihrem Kinde. Sie habens ermordet,
sie habens getödtet! schrie sie verzweifelnd, als
die Wärterin ihr berichtete, daß man es einer
Amme zur Pflege übergeben habe. Sie forderte
es mit Ingrimme zurück, wie man ihr aber sol-
ches standhaft verweigerte, ihr sogar die Bitte es
noch einmal zu sehen, hartnäckig abschlug, da be-
gann sie fürchterlich zu rasen. Nur mit größter
Mühe konnte mans verhindern, daß sie die Wär-
terin nicht erdrosselte, man mußte ihr eine andre
ordnen, weil schon der Anblick derselben sie in die
größte Wuth versetzte. Ein hitziges Fieber, wel-
ches sie Tages darauf ergriff, schien ihr Leben

genden Nacht eine geſunde Tochter. Wie die
Waͤrterin ſolche in ihre Arme legte, und Karoline
ihres Gatten Ebenbild in ihr erblickte, da ſiegte
Natur und Liebe, das Gefuͤhl einer Mutter er-
wachte, Freude und Wonne kehrte in ihr oͤdes
Herz zuruͤck, ſie aͤußerte ſolche durch Worte, und
ſprach in dieſer Stunde mehr, als ſie die ganze
Zeit vorher geſprochen hatte.

Am Morgen meldete die Waͤrterin der Aebtiſ-
ſin die Geburt des Kindes; da ſchon im Voraus
geheime Anſtalt getroffen war, ſo befahl dieſe ſo-
gleich, die beſtellte Amme zu rufen, und ihr das
Kind zu uͤbergeben. Karoline war eben in erſten
ruhigen Schlaf verſunken, als man ihr das
Schmerzenskind ſanft aus ihren muͤtterlichen Ar-
men nahm, und es aus dem Kloſter ſandte.
Wie ſie erwachte, blickte ſie aͤngſtlich umher, und
forſchte nach ihrem Kinde. Sie habens ermordet,
ſie habens getoͤdtet! ſchrie ſie verzweifelnd, als
die Waͤrterin ihr berichtete, daß man es einer
Amme zur Pflege uͤbergeben habe. Sie forderte
es mit Ingrimme zuruͤck, wie man ihr aber ſol-
ches ſtandhaft verweigerte, ihr ſogar die Bitte es
noch einmal zu ſehen, hartnaͤckig abſchlug, da be-
gann ſie fuͤrchterlich zu raſen. Nur mit groͤßter
Muͤhe konnte mans verhindern, daß ſie die Waͤr-
terin nicht erdroſſelte, man mußte ihr eine andre
ordnen, weil ſchon der Anblick derſelben ſie in die
groͤßte Wuth verſetzte. Ein hitziges Fieber, wel-
ches ſie Tages darauf ergriff, ſchien ihr Leben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="58"/>
genden Nacht eine ge&#x017F;unde Tochter. Wie die<lb/>
Wa&#x0364;rterin &#x017F;olche in ihre Arme legte, und Karoline<lb/>
ihres Gatten Ebenbild in ihr erblickte, da &#x017F;iegte<lb/>
Natur und Liebe, das Gefu&#x0364;hl einer Mutter er-<lb/>
wachte, Freude und Wonne kehrte in ihr o&#x0364;des<lb/>
Herz zuru&#x0364;ck, &#x017F;ie a&#x0364;ußerte &#x017F;olche durch Worte, und<lb/>
&#x017F;prach in die&#x017F;er Stunde mehr, als &#x017F;ie die ganze<lb/>
Zeit vorher ge&#x017F;prochen hatte.</p><lb/>
        <p>Am Morgen meldete die Wa&#x0364;rterin der Aebti&#x017F;-<lb/>
&#x017F;in die Geburt des Kindes; da &#x017F;chon im Voraus<lb/>
geheime An&#x017F;talt getroffen war, &#x017F;o befahl die&#x017F;e &#x017F;o-<lb/>
gleich, die be&#x017F;tellte Amme zu rufen, und ihr das<lb/>
Kind zu u&#x0364;bergeben. Karoline war eben in er&#x017F;ten<lb/>
ruhigen Schlaf ver&#x017F;unken, als man ihr das<lb/>
Schmerzenskind &#x017F;anft aus ihren mu&#x0364;tterlichen Ar-<lb/>
men nahm, und es aus dem Klo&#x017F;ter &#x017F;andte.<lb/>
Wie &#x017F;ie erwachte, blickte &#x017F;ie a&#x0364;ng&#x017F;tlich umher, und<lb/>
for&#x017F;chte nach ihrem Kinde. Sie habens ermordet,<lb/>
&#x017F;ie habens geto&#x0364;dtet! &#x017F;chrie &#x017F;ie verzweifelnd, als<lb/>
die Wa&#x0364;rterin ihr berichtete, daß man es einer<lb/>
Amme zur Pflege u&#x0364;bergeben habe. Sie forderte<lb/>
es mit Ingrimme zuru&#x0364;ck, wie man ihr aber &#x017F;ol-<lb/>
ches &#x017F;tandhaft verweigerte, ihr &#x017F;ogar die Bitte es<lb/>
noch einmal zu &#x017F;ehen, hartna&#x0364;ckig ab&#x017F;chlug, da be-<lb/>
gann &#x017F;ie fu&#x0364;rchterlich zu ra&#x017F;en. Nur mit gro&#x0364;ßter<lb/>
Mu&#x0364;he konnte mans verhindern, daß &#x017F;ie die Wa&#x0364;r-<lb/>
terin nicht erdro&#x017F;&#x017F;elte, man mußte ihr eine andre<lb/>
ordnen, weil &#x017F;chon der Anblick der&#x017F;elben &#x017F;ie in die<lb/>
gro&#x0364;ßte Wuth ver&#x017F;etzte. Ein hitziges Fieber, wel-<lb/>
ches &#x017F;ie Tages darauf ergriff, &#x017F;chien ihr Leben<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0066] genden Nacht eine geſunde Tochter. Wie die Waͤrterin ſolche in ihre Arme legte, und Karoline ihres Gatten Ebenbild in ihr erblickte, da ſiegte Natur und Liebe, das Gefuͤhl einer Mutter er- wachte, Freude und Wonne kehrte in ihr oͤdes Herz zuruͤck, ſie aͤußerte ſolche durch Worte, und ſprach in dieſer Stunde mehr, als ſie die ganze Zeit vorher geſprochen hatte. Am Morgen meldete die Waͤrterin der Aebtiſ- ſin die Geburt des Kindes; da ſchon im Voraus geheime Anſtalt getroffen war, ſo befahl dieſe ſo- gleich, die beſtellte Amme zu rufen, und ihr das Kind zu uͤbergeben. Karoline war eben in erſten ruhigen Schlaf verſunken, als man ihr das Schmerzenskind ſanft aus ihren muͤtterlichen Ar- men nahm, und es aus dem Kloſter ſandte. Wie ſie erwachte, blickte ſie aͤngſtlich umher, und forſchte nach ihrem Kinde. Sie habens ermordet, ſie habens getoͤdtet! ſchrie ſie verzweifelnd, als die Waͤrterin ihr berichtete, daß man es einer Amme zur Pflege uͤbergeben habe. Sie forderte es mit Ingrimme zuruͤck, wie man ihr aber ſol- ches ſtandhaft verweigerte, ihr ſogar die Bitte es noch einmal zu ſehen, hartnaͤckig abſchlug, da be- gann ſie fuͤrchterlich zu raſen. Nur mit groͤßter Muͤhe konnte mans verhindern, daß ſie die Waͤr- terin nicht erdroſſelte, man mußte ihr eine andre ordnen, weil ſchon der Anblick derſelben ſie in die groͤßte Wuth verſetzte. Ein hitziges Fieber, wel- ches ſie Tages darauf ergriff, ſchien ihr Leben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/66
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/66>, abgerufen am 25.11.2024.