Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
bezauberte bald Karolinen, riß sie sogar zum off- nen Bekenntnisse ihrer ganzen merkwürdigen Ge- schichte hin. Die Fürstin, welche die Macht der Liebe nur allzugut kannte, selbst gegen große Hin- dernisse kämpfen mußte, ehe sie ihrem innig ge- liebten, nun verewigten Gatten die Hand reichen konnte, beehrte dieß Vertrauen mit Großmuth und Freundschaft. Nach einigen Tagen ließ sie Friedrichen mit Karolinen nach ihrem Schlosse laden, und der Oberhofprediger verband sie auf ewig im geheimen Kabinette der Fürstin, nachdem Karoline zuvor das Glaubensbekenntniß der protestantischen Reli- gion abgelegt hatte. Die großmüthige Fürstin war die einzige Zeugin dieser Handlung, und schenkte Karolinen einen schönen Ring, den ihr Friedrich am Finger steckte, und den sie mit un- verletzter Treue mit in ihr Grab zu nehmen ge- loben mußte. Hier ist der Zeitpunkt, in welchem ich -- wenn ich anders die Wahrheit nicht verletzen will -- meinen Lesern aufrichtig gestehen muß, daß die schöne Esther und die unglückliche, merkwürdi- ge Alte, ein und die nämliche Person sei, und daß diese Erzählung die wahre Geschichte der letztern enthalte. Ob ich recht that, daß ich so lange schwieg, und meine Leser absichtlich irre führte? Ob ich die einzige Absicht, ihre Erwar- tung mehr zu reizen und zu spannen, wirklich er- reichte? mögen sie nun selbst entscheiden. Heil
bezauberte bald Karolinen, riß ſie ſogar zum off- nen Bekenntniſſe ihrer ganzen merkwuͤrdigen Ge- ſchichte hin. Die Fuͤrſtin, welche die Macht der Liebe nur allzugut kannte, ſelbſt gegen große Hin- derniſſe kaͤmpfen mußte, ehe ſie ihrem innig ge- liebten, nun verewigten Gatten die Hand reichen konnte, beehrte dieß Vertrauen mit Großmuth und Freundſchaft. Nach einigen Tagen ließ ſie Friedrichen mit Karolinen nach ihrem Schloſſe laden, und der Oberhofprediger verband ſie auf ewig im geheimen Kabinette der Fuͤrſtin, nachdem Karoline zuvor das Glaubensbekenntniß der proteſtantiſchen Reli- gion abgelegt hatte. Die großmuͤthige Fuͤrſtin war die einzige Zeugin dieſer Handlung, und ſchenkte Karolinen einen ſchoͤnen Ring, den ihr Friedrich am Finger ſteckte, und den ſie mit un- verletzter Treue mit in ihr Grab zu nehmen ge- loben mußte. Hier iſt der Zeitpunkt, in welchem ich — wenn ich anders die Wahrheit nicht verletzen will — meinen Leſern aufrichtig geſtehen muß, daß die ſchoͤne Eſther und die ungluͤckliche, merkwuͤrdi- ge Alte, ein und die naͤmliche Perſon ſei, und daß dieſe Erzaͤhlung die wahre Geſchichte der letztern enthalte. Ob ich recht that, daß ich ſo lange ſchwieg, und meine Leſer abſichtlich irre fuͤhrte? Ob ich die einzige Abſicht, ihre Erwar- tung mehr zu reizen und zu ſpannen, wirklich er- reichte? moͤgen ſie nun ſelbſt entſcheiden. Heil <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0052" n="44"/> bezauberte bald Karolinen, riß ſie ſogar zum off-<lb/> nen Bekenntniſſe ihrer ganzen merkwuͤrdigen Ge-<lb/> ſchichte hin. Die Fuͤrſtin, welche die Macht der<lb/> Liebe nur allzugut kannte, ſelbſt gegen große Hin-<lb/> derniſſe kaͤmpfen mußte, ehe ſie ihrem innig ge-<lb/> liebten, nun verewigten Gatten die Hand reichen<lb/> konnte, beehrte dieß Vertrauen mit Großmuth<lb/> und Freundſchaft.</p><lb/> <p>Nach einigen Tagen ließ ſie Friedrichen mit<lb/> Karolinen nach ihrem Schloſſe laden, und der<lb/> Oberhofprediger verband ſie auf ewig im geheimen<lb/> Kabinette der Fuͤrſtin, nachdem Karoline zuvor<lb/> das Glaubensbekenntniß der proteſtantiſchen Reli-<lb/> gion abgelegt hatte. Die großmuͤthige Fuͤrſtin<lb/> war die einzige Zeugin dieſer Handlung, und<lb/> ſchenkte Karolinen einen ſchoͤnen Ring, den ihr<lb/> Friedrich am Finger ſteckte, und den ſie mit un-<lb/> verletzter Treue mit in ihr Grab zu nehmen ge-<lb/> loben mußte.</p><lb/> <p>Hier iſt der Zeitpunkt, in welchem ich —<lb/> wenn ich anders die Wahrheit nicht verletzen will<lb/> — meinen Leſern aufrichtig geſtehen muß, daß<lb/> die ſchoͤne Eſther und die ungluͤckliche, merkwuͤrdi-<lb/> ge Alte, ein und die naͤmliche Perſon ſei, und<lb/> daß dieſe Erzaͤhlung die <hi rendition="#g">wahre</hi> Geſchichte der<lb/> letztern enthalte. Ob ich recht that, daß ich ſo<lb/> lange ſchwieg, und meine Leſer abſichtlich irre<lb/> fuͤhrte? Ob ich die einzige Abſicht, ihre Erwar-<lb/> tung mehr zu reizen und zu ſpannen, wirklich er-<lb/> reichte? moͤgen ſie nun ſelbſt entſcheiden. Heil<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [44/0052]
bezauberte bald Karolinen, riß ſie ſogar zum off-
nen Bekenntniſſe ihrer ganzen merkwuͤrdigen Ge-
ſchichte hin. Die Fuͤrſtin, welche die Macht der
Liebe nur allzugut kannte, ſelbſt gegen große Hin-
derniſſe kaͤmpfen mußte, ehe ſie ihrem innig ge-
liebten, nun verewigten Gatten die Hand reichen
konnte, beehrte dieß Vertrauen mit Großmuth
und Freundſchaft.
Nach einigen Tagen ließ ſie Friedrichen mit
Karolinen nach ihrem Schloſſe laden, und der
Oberhofprediger verband ſie auf ewig im geheimen
Kabinette der Fuͤrſtin, nachdem Karoline zuvor
das Glaubensbekenntniß der proteſtantiſchen Reli-
gion abgelegt hatte. Die großmuͤthige Fuͤrſtin
war die einzige Zeugin dieſer Handlung, und
ſchenkte Karolinen einen ſchoͤnen Ring, den ihr
Friedrich am Finger ſteckte, und den ſie mit un-
verletzter Treue mit in ihr Grab zu nehmen ge-
loben mußte.
Hier iſt der Zeitpunkt, in welchem ich —
wenn ich anders die Wahrheit nicht verletzen will
— meinen Leſern aufrichtig geſtehen muß, daß
die ſchoͤne Eſther und die ungluͤckliche, merkwuͤrdi-
ge Alte, ein und die naͤmliche Perſon ſei, und
daß dieſe Erzaͤhlung die wahre Geſchichte der
letztern enthalte. Ob ich recht that, daß ich ſo
lange ſchwieg, und meine Leſer abſichtlich irre
fuͤhrte? Ob ich die einzige Abſicht, ihre Erwar-
tung mehr zu reizen und zu ſpannen, wirklich er-
reichte? moͤgen ſie nun ſelbſt entſcheiden. Heil
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |