Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
keiner ihn störte. Schon am andern Abende er- kannte er unter den lustwandelnden Nonnen seine Esther, sie hatte ihr Gärtchen nahe an demjeni- gen Theile der Mauer, welcher mit dem Gast- hause gränzte, sie schlug ihren Schleier zurück, er sah ihr schwarzes Haar, ihr leidendes Gesich- te, und bewunderte die seltene romantische Anlage ihres Gärtchens. Wie ihn die Erfahrung belehrte, daß sie oft noch im Garten weile, wenn schon alle andre ihn verlassen hatten, so gründete er auf diesen Umstand seinen Plan, den er endlich auch glück- lich ausführte. Da von aussen keine Thüre nach dem Garten führte, so wählte er die Kirche zum Platze der Rettung, weil er glaubte, daß die Nonnen Tag und Nacht solche ungehindert be- suchen könnten. Er weihte seinen neuen Bedien- ten in das Geheimniß ein, dieser bedung sich vier Tage zur nöthigen Arbeit, und versicherte ihn am Morgen des fünften, daß er jetzt das Schloß der kleinen Kirchthüre ohne Mühe zu al- len Zeiten öfnen könne. Nun erfolgte, was ich meinen Lesern schon erzählt habe, und Karoline ward glücklich gerettet. Der erste und einzige Wunsch der Liebenden war Vereinigung auf immer, die fromme, an- dächtige Karoline -- so groß die Macht der Lie- be -- machte nicht den geringsten Anstand, sich von nun an zur protestantischen Religion zu be- kennen, weil dieß Bekenntniß nur ihr Gelübde
keiner ihn ſtoͤrte. Schon am andern Abende er- kannte er unter den luſtwandelnden Nonnen ſeine Eſther, ſie hatte ihr Gaͤrtchen nahe an demjeni- gen Theile der Mauer, welcher mit dem Gaſt- hauſe graͤnzte, ſie ſchlug ihren Schleier zuruͤck, er ſah ihr ſchwarzes Haar, ihr leidendes Geſich- te, und bewunderte die ſeltene romantiſche Anlage ihres Gaͤrtchens. Wie ihn die Erfahrung belehrte, daß ſie oft noch im Garten weile, wenn ſchon alle andre ihn verlaſſen hatten, ſo gruͤndete er auf dieſen Umſtand ſeinen Plan, den er endlich auch gluͤck- lich ausfuͤhrte. Da von auſſen keine Thuͤre nach dem Garten fuͤhrte, ſo waͤhlte er die Kirche zum Platze der Rettung, weil er glaubte, daß die Nonnen Tag und Nacht ſolche ungehindert be- ſuchen koͤnnten. Er weihte ſeinen neuen Bedien- ten in das Geheimniß ein, dieſer bedung ſich vier Tage zur noͤthigen Arbeit, und verſicherte ihn am Morgen des fuͤnften, daß er jetzt das Schloß der kleinen Kirchthuͤre ohne Muͤhe zu al- len Zeiten oͤfnen koͤnne. Nun erfolgte, was ich meinen Leſern ſchon erzaͤhlt habe, und Karoline ward gluͤcklich gerettet. Der erſte und einzige Wunſch der Liebenden war Vereinigung auf immer, die fromme, an- daͤchtige Karoline — ſo groß die Macht der Lie- be — machte nicht den geringſten Anſtand, ſich von nun an zur proteſtantiſchen Religion zu be- kennen, weil dieß Bekenntniß nur ihr Geluͤbde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0050" n="42"/> keiner ihn ſtoͤrte. Schon am andern Abende er-<lb/> kannte er unter den luſtwandelnden Nonnen ſeine<lb/> Eſther, ſie hatte ihr Gaͤrtchen nahe an demjeni-<lb/> gen Theile der Mauer, welcher mit dem Gaſt-<lb/> hauſe graͤnzte, ſie ſchlug ihren Schleier zuruͤck,<lb/> er ſah ihr ſchwarzes Haar, ihr leidendes Geſich-<lb/> te, und bewunderte die ſeltene romantiſche Anlage<lb/> ihres Gaͤrtchens.</p><lb/> <p>Wie ihn die Erfahrung belehrte, daß ſie oft<lb/> noch im Garten weile, wenn ſchon alle andre<lb/> ihn verlaſſen hatten, ſo gruͤndete er auf dieſen<lb/> Umſtand ſeinen Plan, den er endlich auch gluͤck-<lb/> lich ausfuͤhrte. Da von auſſen keine Thuͤre nach<lb/> dem Garten fuͤhrte, ſo waͤhlte er die Kirche zum<lb/> Platze der Rettung, weil er glaubte, daß die<lb/> Nonnen Tag und Nacht ſolche ungehindert be-<lb/> ſuchen koͤnnten. Er weihte ſeinen neuen Bedien-<lb/> ten in das Geheimniß ein, dieſer bedung ſich<lb/> vier Tage zur noͤthigen Arbeit, und verſicherte<lb/> ihn am Morgen des fuͤnften, daß er jetzt das<lb/> Schloß der kleinen Kirchthuͤre ohne Muͤhe zu al-<lb/> len Zeiten oͤfnen koͤnne. Nun erfolgte, was ich<lb/> meinen Leſern ſchon erzaͤhlt habe, und Karoline<lb/> ward gluͤcklich gerettet.</p><lb/> <p>Der erſte und einzige Wunſch der Liebenden<lb/> war Vereinigung auf immer, die fromme, an-<lb/> daͤchtige Karoline — ſo groß die Macht der Lie-<lb/> be — machte nicht den geringſten Anſtand, ſich<lb/> von nun an zur proteſtantiſchen Religion zu be-<lb/> kennen, weil dieß Bekenntniß nur ihr Geluͤbde<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [42/0050]
keiner ihn ſtoͤrte. Schon am andern Abende er-
kannte er unter den luſtwandelnden Nonnen ſeine
Eſther, ſie hatte ihr Gaͤrtchen nahe an demjeni-
gen Theile der Mauer, welcher mit dem Gaſt-
hauſe graͤnzte, ſie ſchlug ihren Schleier zuruͤck,
er ſah ihr ſchwarzes Haar, ihr leidendes Geſich-
te, und bewunderte die ſeltene romantiſche Anlage
ihres Gaͤrtchens.
Wie ihn die Erfahrung belehrte, daß ſie oft
noch im Garten weile, wenn ſchon alle andre
ihn verlaſſen hatten, ſo gruͤndete er auf dieſen
Umſtand ſeinen Plan, den er endlich auch gluͤck-
lich ausfuͤhrte. Da von auſſen keine Thuͤre nach
dem Garten fuͤhrte, ſo waͤhlte er die Kirche zum
Platze der Rettung, weil er glaubte, daß die
Nonnen Tag und Nacht ſolche ungehindert be-
ſuchen koͤnnten. Er weihte ſeinen neuen Bedien-
ten in das Geheimniß ein, dieſer bedung ſich
vier Tage zur noͤthigen Arbeit, und verſicherte
ihn am Morgen des fuͤnften, daß er jetzt das
Schloß der kleinen Kirchthuͤre ohne Muͤhe zu al-
len Zeiten oͤfnen koͤnne. Nun erfolgte, was ich
meinen Leſern ſchon erzaͤhlt habe, und Karoline
ward gluͤcklich gerettet.
Der erſte und einzige Wunſch der Liebenden
war Vereinigung auf immer, die fromme, an-
daͤchtige Karoline — ſo groß die Macht der Lie-
be — machte nicht den geringſten Anſtand, ſich
von nun an zur proteſtantiſchen Religion zu be-
kennen, weil dieß Bekenntniß nur ihr Geluͤbde
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