Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
ge Liebe, die so willig im Sturme und Wetter emporkeimt, und um so größere und stärkere Zwei- ge treibt, je mehr und öfterer man diese abzu- brechen sucht. Der selige Gedanke, daß Esthers alter Vater schon schlummere, sie nun frei seyn, und sich nicht weigern werde, die christliche Re- ligion anzunehmen, beschäftigte ihn einzig und al- lein auf der langen Reise, er beschloß im Vor- aus, dann sein ganzes Erbe zu veräussern, und in einem unbekannten Winkel der Erde mit sei- ner Allgeliebten nicht allein vergnügt, sondern auch gemächlich zu leben. Das Glück schien sein Vorhaben zu begün- stigen, seine Reise war die angenehmste und schnellste; ehe noch drei volle Monden verflossen, landete er schon an D -- s Küsten. Da die Uebernahme der großen Erbschaft seine Gegen- wart äusserst nothwendig machte, und er wenig- stens durch einige Monden sein Vaterland nicht wieder verlassen konnte, so machte er sogleich der schönen Esther sein Glück und seinen Vorsatz in einem Briefe bekannt, flehte um schnelle Ant- wort, und sandte damit seinen treuen Diener nach F --, welcher, wenn der Vater allenfalls noch lebe, ihr den Brief heimlich übergeben, aber nicht ohne Antwort rückkehren sollte. Ehe diese Rück- kunft erfolgte, hatte Friedrich schon seinem Dien- ste, welcher ihn ans Vaterland fesselte, entsagt, seine Güter verpachtet, und harrte nur noch mit Ungeduld des Kommenden. Trauer erfüllte sein
ge Liebe, die ſo willig im Sturme und Wetter emporkeimt, und um ſo groͤßere und ſtaͤrkere Zwei- ge treibt, je mehr und oͤfterer man dieſe abzu- brechen ſucht. Der ſelige Gedanke, daß Eſthers alter Vater ſchon ſchlummere, ſie nun frei ſeyn, und ſich nicht weigern werde, die chriſtliche Re- ligion anzunehmen, beſchaͤftigte ihn einzig und al- lein auf der langen Reiſe, er beſchloß im Vor- aus, dann ſein ganzes Erbe zu veraͤuſſern, und in einem unbekannten Winkel der Erde mit ſei- ner Allgeliebten nicht allein vergnuͤgt, ſondern auch gemaͤchlich zu leben. Das Gluͤck ſchien ſein Vorhaben zu beguͤn- ſtigen, ſeine Reiſe war die angenehmſte und ſchnellſte; ehe noch drei volle Monden verfloſſen, landete er ſchon an D — s Kuͤſten. Da die Uebernahme der großen Erbſchaft ſeine Gegen- wart aͤuſſerſt nothwendig machte, und er wenig- ſtens durch einige Monden ſein Vaterland nicht wieder verlaſſen konnte, ſo machte er ſogleich der ſchoͤnen Eſther ſein Gluͤck und ſeinen Vorſatz in einem Briefe bekannt, flehte um ſchnelle Ant- wort, und ſandte damit ſeinen treuen Diener nach F —, welcher, wenn der Vater allenfalls noch lebe, ihr den Brief heimlich uͤbergeben, aber nicht ohne Antwort ruͤckkehren ſollte. Ehe dieſe Ruͤck- kunft erfolgte, hatte Friedrich ſchon ſeinem Dien- ſte, welcher ihn ans Vaterland feſſelte, entſagt, ſeine Guͤter verpachtet, und harrte nur noch mit Ungeduld des Kommenden. Trauer erfuͤllte ſein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0044" n="36"/> ge Liebe, die ſo willig im Sturme und Wetter<lb/> emporkeimt, und um ſo groͤßere und ſtaͤrkere Zwei-<lb/> ge treibt, je mehr und oͤfterer man dieſe abzu-<lb/> brechen ſucht. Der ſelige Gedanke, daß Eſthers<lb/> alter Vater ſchon ſchlummere, ſie nun frei ſeyn,<lb/> und ſich nicht weigern werde, die chriſtliche Re-<lb/> ligion anzunehmen, beſchaͤftigte ihn einzig und al-<lb/> lein auf der langen Reiſe, er beſchloß im Vor-<lb/> aus, dann ſein ganzes Erbe zu veraͤuſſern, und<lb/> in einem unbekannten Winkel der Erde mit ſei-<lb/> ner Allgeliebten nicht allein vergnuͤgt, ſondern<lb/> auch gemaͤchlich zu leben.</p><lb/> <p>Das Gluͤck ſchien ſein Vorhaben zu beguͤn-<lb/> ſtigen, ſeine Reiſe war die angenehmſte und<lb/> ſchnellſte; ehe noch drei volle Monden verfloſſen,<lb/> landete er ſchon an D — s Kuͤſten. Da die<lb/> Uebernahme der großen Erbſchaft ſeine Gegen-<lb/> wart aͤuſſerſt nothwendig machte, und er wenig-<lb/> ſtens durch einige Monden ſein Vaterland nicht<lb/> wieder verlaſſen konnte, ſo machte er ſogleich<lb/> der ſchoͤnen Eſther ſein Gluͤck und ſeinen Vorſatz<lb/> in einem Briefe bekannt, flehte um ſchnelle Ant-<lb/> wort, und ſandte damit ſeinen treuen Diener nach<lb/> F —, welcher, wenn der Vater allenfalls noch<lb/> lebe, ihr den Brief heimlich uͤbergeben, aber nicht<lb/> ohne Antwort ruͤckkehren ſollte. Ehe dieſe Ruͤck-<lb/> kunft erfolgte, hatte Friedrich ſchon ſeinem Dien-<lb/> ſte, welcher ihn ans Vaterland feſſelte, entſagt,<lb/> ſeine Guͤter verpachtet, und harrte nur noch mit<lb/> Ungeduld des Kommenden. Trauer erfuͤllte ſein<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [36/0044]
ge Liebe, die ſo willig im Sturme und Wetter
emporkeimt, und um ſo groͤßere und ſtaͤrkere Zwei-
ge treibt, je mehr und oͤfterer man dieſe abzu-
brechen ſucht. Der ſelige Gedanke, daß Eſthers
alter Vater ſchon ſchlummere, ſie nun frei ſeyn,
und ſich nicht weigern werde, die chriſtliche Re-
ligion anzunehmen, beſchaͤftigte ihn einzig und al-
lein auf der langen Reiſe, er beſchloß im Vor-
aus, dann ſein ganzes Erbe zu veraͤuſſern, und
in einem unbekannten Winkel der Erde mit ſei-
ner Allgeliebten nicht allein vergnuͤgt, ſondern
auch gemaͤchlich zu leben.
Das Gluͤck ſchien ſein Vorhaben zu beguͤn-
ſtigen, ſeine Reiſe war die angenehmſte und
ſchnellſte; ehe noch drei volle Monden verfloſſen,
landete er ſchon an D — s Kuͤſten. Da die
Uebernahme der großen Erbſchaft ſeine Gegen-
wart aͤuſſerſt nothwendig machte, und er wenig-
ſtens durch einige Monden ſein Vaterland nicht
wieder verlaſſen konnte, ſo machte er ſogleich
der ſchoͤnen Eſther ſein Gluͤck und ſeinen Vorſatz
in einem Briefe bekannt, flehte um ſchnelle Ant-
wort, und ſandte damit ſeinen treuen Diener nach
F —, welcher, wenn der Vater allenfalls noch
lebe, ihr den Brief heimlich uͤbergeben, aber nicht
ohne Antwort ruͤckkehren ſollte. Ehe dieſe Ruͤck-
kunft erfolgte, hatte Friedrich ſchon ſeinem Dien-
ſte, welcher ihn ans Vaterland feſſelte, entſagt,
ſeine Guͤter verpachtet, und harrte nur noch mit
Ungeduld des Kommenden. Trauer erfuͤllte ſein
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