Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
fand keinen aus Deutschland darunter. Wahr-
scheinlich hätte er alle ungelesen in einen Winkel
geworfen, wenn nicht ein Paket, das schwarz
gesiegelt war, seine Aufmerksamkeit erregt hätte.
Er öfnete es, und fand sogleich, daß seine Mut-
ter und sein Onkel an der epidemischen Krankheit,
die damals zu K -- herrschte, gestorben sei.
Sparsam flossen seine Thränen, weil sie seine Lie-
be so streng gehindert hatten, aber freudig und
doch tief gerührt schauderte er bald empor, als er
fand, daß eben dieser Onkel, dessen drei Söhne
kurz vor ihm gestorben waren, ihn zum Erben
seines großen Vermögens und all seiner Güter
eingesetzt hatte. Ein Brief, den der Onkel auf
seinem Sterbebette geschrieben hatte, versöhnte
Friedrichen überdieß ganz mit ihm, er bat um
Verzeihung, daß er ihn mit so strenger Härte be-
handelt habe, sandte ihm den königlichen Befehl,
mit dem ersten Schiffe ins Vaterland zurückzu-
kehren, und ermahnte ihn nur am Ende in den
sanftesten Ausdrücken, daß er seine thörichte und
hoffnungslose Liebe ganz vergessen, bald eine edle
Tochter des Landes mit seiner Hand beglücken
möge.

Friedrich hätte der Bitte des Sterbenden gern
nicht verweigert, was er den Drohungen des Le-
benden so standhaft versagte, wenn das Andenken
der schönen Esther nicht unauslöschlich in seinem
Herzen geruht hätte. Sie war seine erste, einzi-
C 2
fand keinen aus Deutſchland darunter. Wahr-
ſcheinlich haͤtte er alle ungeleſen in einen Winkel
geworfen, wenn nicht ein Paket, das ſchwarz
geſiegelt war, ſeine Aufmerkſamkeit erregt haͤtte.
Er oͤfnete es, und fand ſogleich, daß ſeine Mut-
ter und ſein Onkel an der epidemiſchen Krankheit,
die damals zu K — herrſchte, geſtorben ſei.
Sparſam floſſen ſeine Thraͤnen, weil ſie ſeine Lie-
be ſo ſtreng gehindert hatten, aber freudig und
doch tief geruͤhrt ſchauderte er bald empor, als er
fand, daß eben dieſer Onkel, deſſen drei Soͤhne
kurz vor ihm geſtorben waren, ihn zum Erben
ſeines großen Vermoͤgens und all ſeiner Guͤter
eingeſetzt hatte. Ein Brief, den der Onkel auf
ſeinem Sterbebette geſchrieben hatte, verſoͤhnte
Friedrichen uͤberdieß ganz mit ihm, er bat um
Verzeihung, daß er ihn mit ſo ſtrenger Haͤrte be-
handelt habe, ſandte ihm den koͤniglichen Befehl,
mit dem erſten Schiffe ins Vaterland zuruͤckzu-
kehren, und ermahnte ihn nur am Ende in den
ſanfteſten Ausdruͤcken, daß er ſeine thoͤrichte und
hoffnungsloſe Liebe ganz vergeſſen, bald eine edle
Tochter des Landes mit ſeiner Hand begluͤcken
moͤge.

Friedrich haͤtte der Bitte des Sterbenden gern
nicht verweigert, was er den Drohungen des Le-
benden ſo ſtandhaft verſagte, wenn das Andenken
der ſchoͤnen Eſther nicht unausloͤſchlich in ſeinem
Herzen geruht haͤtte. Sie war ſeine erſte, einzi-
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#FRIED">
          <p><pb facs="#f0043" n="35"/>
fand keinen aus Deut&#x017F;chland darunter. Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich ha&#x0364;tte er alle ungele&#x017F;en in einen Winkel<lb/>
geworfen, wenn nicht ein Paket, das &#x017F;chwarz<lb/>
ge&#x017F;iegelt war, &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit erregt ha&#x0364;tte.<lb/>
Er o&#x0364;fnete es, und fand &#x017F;ogleich, daß &#x017F;eine Mut-<lb/>
ter und &#x017F;ein Onkel an der epidemi&#x017F;chen Krankheit,<lb/>
die damals zu K &#x2014; herr&#x017F;chte, ge&#x017F;torben &#x017F;ei.<lb/>
Spar&#x017F;am flo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Thra&#x0364;nen, weil &#x017F;ie &#x017F;eine Lie-<lb/>
be &#x017F;o &#x017F;treng gehindert hatten, aber freudig und<lb/>
doch tief geru&#x0364;hrt &#x017F;chauderte er bald empor, als er<lb/>
fand, daß eben die&#x017F;er Onkel, de&#x017F;&#x017F;en drei So&#x0364;hne<lb/>
kurz vor ihm ge&#x017F;torben waren, ihn zum Erben<lb/>
&#x017F;eines großen Vermo&#x0364;gens und all &#x017F;einer Gu&#x0364;ter<lb/>
einge&#x017F;etzt hatte. Ein Brief, den der Onkel auf<lb/>
&#x017F;einem Sterbebette ge&#x017F;chrieben hatte, ver&#x017F;o&#x0364;hnte<lb/>
Friedrichen u&#x0364;berdieß ganz mit ihm, er bat um<lb/>
Verzeihung, daß er ihn mit &#x017F;o &#x017F;trenger Ha&#x0364;rte be-<lb/>
handelt habe, &#x017F;andte ihm den ko&#x0364;niglichen Befehl,<lb/>
mit dem er&#x017F;ten Schiffe ins Vaterland zuru&#x0364;ckzu-<lb/>
kehren, und ermahnte ihn nur am Ende in den<lb/>
&#x017F;anfte&#x017F;ten Ausdru&#x0364;cken, daß er &#x017F;eine tho&#x0364;richte und<lb/>
hoffnungslo&#x017F;e Liebe ganz verge&#x017F;&#x017F;en, bald eine edle<lb/>
Tochter des Landes mit &#x017F;einer Hand beglu&#x0364;cken<lb/>
mo&#x0364;ge.</p><lb/>
          <p>Friedrich ha&#x0364;tte der Bitte des Sterbenden gern<lb/>
nicht verweigert, was er den Drohungen des Le-<lb/>
benden &#x017F;o &#x017F;tandhaft ver&#x017F;agte, wenn das Andenken<lb/>
der &#x017F;cho&#x0364;nen E&#x017F;ther nicht unauslo&#x0364;&#x017F;chlich in &#x017F;einem<lb/>
Herzen geruht ha&#x0364;tte. Sie war &#x017F;eine er&#x017F;te, einzi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 2</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0043] fand keinen aus Deutſchland darunter. Wahr- ſcheinlich haͤtte er alle ungeleſen in einen Winkel geworfen, wenn nicht ein Paket, das ſchwarz geſiegelt war, ſeine Aufmerkſamkeit erregt haͤtte. Er oͤfnete es, und fand ſogleich, daß ſeine Mut- ter und ſein Onkel an der epidemiſchen Krankheit, die damals zu K — herrſchte, geſtorben ſei. Sparſam floſſen ſeine Thraͤnen, weil ſie ſeine Lie- be ſo ſtreng gehindert hatten, aber freudig und doch tief geruͤhrt ſchauderte er bald empor, als er fand, daß eben dieſer Onkel, deſſen drei Soͤhne kurz vor ihm geſtorben waren, ihn zum Erben ſeines großen Vermoͤgens und all ſeiner Guͤter eingeſetzt hatte. Ein Brief, den der Onkel auf ſeinem Sterbebette geſchrieben hatte, verſoͤhnte Friedrichen uͤberdieß ganz mit ihm, er bat um Verzeihung, daß er ihn mit ſo ſtrenger Haͤrte be- handelt habe, ſandte ihm den koͤniglichen Befehl, mit dem erſten Schiffe ins Vaterland zuruͤckzu- kehren, und ermahnte ihn nur am Ende in den ſanfteſten Ausdruͤcken, daß er ſeine thoͤrichte und hoffnungsloſe Liebe ganz vergeſſen, bald eine edle Tochter des Landes mit ſeiner Hand begluͤcken moͤge. Friedrich haͤtte der Bitte des Sterbenden gern nicht verweigert, was er den Drohungen des Le- benden ſo ſtandhaft verſagte, wenn das Andenken der ſchoͤnen Eſther nicht unausloͤſchlich in ſeinem Herzen geruht haͤtte. Sie war ſeine erſte, einzi- C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/43
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/43>, abgerufen am 21.11.2024.