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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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Seinem Versprechen gemäß, wollte er am
Abende, wenns zu dämmern beginne, wieder zu
Hause eintreffen; sein Weib fühlte den langen
Tag hindurch eine unbeschreibliche Angst und
Ahndung eines bevorstehenden Unglücks, sie äu-
serte beides gegen ihre Nachbarn, und jammerte
laut, als die Nacht schon anbrach, und ihr Gatte
noch nicht erschien.

In der Fülle ihres Jammers bat sie den er-
sten seiner Knechte dringend, ihrem Manne entge-
gen zu gehen, und nachzuforschen: ob ihm irgend
ein Unglück widerfahren sei?

Natürlich wars, daß sie diesen Boten zugleich
zum Vertrauten seines Geschäfts machen, und
ihm den Weg beschreiben mußte, welchen er neh-
men würde. Der Knecht fand sich ganz willig,
ihm in Gesellschaft eines Dienstbuben entgegen zu
eilen, und nicht eher zurück zu kommen, bis er
ihn gefunden habe.

Langsam und qualvoll schlichen nun die Stun-
den bis zur Mitternacht vorüber, sie zitterte und
bebte, als endlich um diese Zeit die wachsamen
Hunde die ferne Ankunft einiger Wanderer ver-
kündigten.

Leichter und froher athmete sie, wie sie durchs
offne Fenster gewahrte, daß diese bald schwiegen,
und einem Bekannten froh entgegen eilten. Bleich
und sinnlos sank sie aber zurück, als sie im blas-
sen Scheine des Mondes die beiden Boten er-

Seinem Verſprechen gemaͤß, wollte er am
Abende, wenns zu daͤmmern beginne, wieder zu
Hauſe eintreffen; ſein Weib fuͤhlte den langen
Tag hindurch eine unbeſchreibliche Angſt und
Ahndung eines bevorſtehenden Ungluͤcks, ſie aͤu-
ſerte beides gegen ihre Nachbarn, und jammerte
laut, als die Nacht ſchon anbrach, und ihr Gatte
noch nicht erſchien.

In der Fuͤlle ihres Jammers bat ſie den er-
ſten ſeiner Knechte dringend, ihrem Manne entge-
gen zu gehen, und nachzuforſchen: ob ihm irgend
ein Ungluͤck widerfahren ſei?

Natuͤrlich wars, daß ſie dieſen Boten zugleich
zum Vertrauten ſeines Geſchaͤfts machen, und
ihm den Weg beſchreiben mußte, welchen er neh-
men wuͤrde. Der Knecht fand ſich ganz willig,
ihm in Geſellſchaft eines Dienſtbuben entgegen zu
eilen, und nicht eher zuruͤck zu kommen, bis er
ihn gefunden habe.

Langſam und qualvoll ſchlichen nun die Stun-
den bis zur Mitternacht voruͤber, ſie zitterte und
bebte, als endlich um dieſe Zeit die wachſamen
Hunde die ferne Ankunft einiger Wanderer ver-
kuͤndigten.

Leichter und froher athmete ſie, wie ſie durchs
offne Fenſter gewahrte, daß dieſe bald ſchwiegen,
und einem Bekannten froh entgegen eilten. Bleich
und ſinnlos ſank ſie aber zuruͤck, als ſie im blaſ-
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[169/0177] Seinem Verſprechen gemaͤß, wollte er am Abende, wenns zu daͤmmern beginne, wieder zu Hauſe eintreffen; ſein Weib fuͤhlte den langen Tag hindurch eine unbeſchreibliche Angſt und Ahndung eines bevorſtehenden Ungluͤcks, ſie aͤu- ſerte beides gegen ihre Nachbarn, und jammerte laut, als die Nacht ſchon anbrach, und ihr Gatte noch nicht erſchien. In der Fuͤlle ihres Jammers bat ſie den er- ſten ſeiner Knechte dringend, ihrem Manne entge- gen zu gehen, und nachzuforſchen: ob ihm irgend ein Ungluͤck widerfahren ſei? Natuͤrlich wars, daß ſie dieſen Boten zugleich zum Vertrauten ſeines Geſchaͤfts machen, und ihm den Weg beſchreiben mußte, welchen er neh- men wuͤrde. Der Knecht fand ſich ganz willig, ihm in Geſellſchaft eines Dienſtbuben entgegen zu eilen, und nicht eher zuruͤck zu kommen, bis er ihn gefunden habe. Langſam und qualvoll ſchlichen nun die Stun- den bis zur Mitternacht voruͤber, ſie zitterte und bebte, als endlich um dieſe Zeit die wachſamen Hunde die ferne Ankunft einiger Wanderer ver- kuͤndigten. Leichter und froher athmete ſie, wie ſie durchs offne Fenſter gewahrte, daß dieſe bald ſchwiegen, und einem Bekannten froh entgegen eilten. Bleich und ſinnlos ſank ſie aber zuruͤck, als ſie im blaſ- ſen Scheine des Mondes die beiden Boten er-

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/177>, abgerufen am 25.11.2024.