Groß war Karolinens Freude, hoch und innig ihr Gefühl, als sie nach so vieler Angst und Lei- den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß- heit hoffen konnte, daß er bald ihr seyn würde auf ewig. Konrad suchte zwar diese Freude auch zu genießen und zu fühlen, aber die Kraft, wel- che ihm sein Leiden und die nahe Todesgefahr ge- raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer nur zu träumen, immer schwebte noch Folter und Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geräusch, das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne glich, schreckte ihn hoch empor, er mußte dann lange kämpfen, ehe er seine erhitzte Einbildungs- kraft überreden konnte, daß er nicht mehr im Kerker schmachte, nicht mehr mit Ketten belastet sei. Nach und nach verlohren sich zwar diese Vorstellungen, er war oft fröhlich und munter, aber doch weit öfterer traurig, oft sogar wahrhaft melancholisch. Unwillkührliche Thränen rollten dann über seine Wangen, die selbst Karolinens Kuß und Bitte nicht stillen konnte; er war gern allein, und träumte sich dann, seinem eignen Ge- ständnisse nach, immer wieder im Kerker.
Karolinens Vater, der sein Leiden fühlte, und wirklich innigen Antheil daran nahm, bemühte sich ebenfalls nach allen Kräften, ihn zu ermun- tern und zu trösten. Er liebte Konraden jetzt gleich einem Sohne. Vermehrung seines Reich- thums war freilich eine seiner Hauptleidenschaf-
Groß war Karolinens Freude, hoch und innig ihr Gefuͤhl, als ſie nach ſo vieler Angſt und Lei- den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß- heit hoffen konnte, daß er bald ihr ſeyn wuͤrde auf ewig. Konrad ſuchte zwar dieſe Freude auch zu genießen und zu fuͤhlen, aber die Kraft, wel- che ihm ſein Leiden und die nahe Todesgefahr ge- raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer nur zu traͤumen, immer ſchwebte noch Folter und Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geraͤuſch, das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne glich, ſchreckte ihn hoch empor, er mußte dann lange kaͤmpfen, ehe er ſeine erhitzte Einbildungs- kraft uͤberreden konnte, daß er nicht mehr im Kerker ſchmachte, nicht mehr mit Ketten belaſtet ſei. Nach und nach verlohren ſich zwar dieſe Vorſtellungen, er war oft froͤhlich und munter, aber doch weit oͤfterer traurig, oft ſogar wahrhaft melancholiſch. Unwillkuͤhrliche Thraͤnen rollten dann uͤber ſeine Wangen, die ſelbſt Karolinens Kuß und Bitte nicht ſtillen konnte; er war gern allein, und traͤumte ſich dann, ſeinem eignen Ge- ſtaͤndniſſe nach, immer wieder im Kerker.
Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und wirklich innigen Antheil daran nahm, bemuͤhte ſich ebenfalls nach allen Kraͤften, ihn zu ermun- tern und zu troͤſten. Er liebte Konraden jetzt gleich einem Sohne. Vermehrung ſeines Reich- thums war freilich eine ſeiner Hauptleidenſchaf-
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Groß war Karolinens Freude, hoch und innig
ihr Gefuͤhl, als ſie nach ſo vieler Angſt und Lei-
den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß-
heit hoffen konnte, daß er bald ihr ſeyn wuͤrde
auf ewig. Konrad ſuchte zwar dieſe Freude auch
zu genießen und zu fuͤhlen, aber die Kraft, wel-
che ihm ſein Leiden und die nahe Todesgefahr ge-
raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer
nur zu traͤumen, immer ſchwebte noch Folter und
Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens
feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geraͤuſch,
das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne
glich, ſchreckte ihn hoch empor, er mußte dann
lange kaͤmpfen, ehe er ſeine erhitzte Einbildungs-
kraft uͤberreden konnte, daß er nicht mehr im
Kerker ſchmachte, nicht mehr mit Ketten belaſtet
ſei. Nach und nach verlohren ſich zwar dieſe
Vorſtellungen, er war oft froͤhlich und munter,
aber doch weit oͤfterer traurig, oft ſogar wahrhaft
melancholiſch. Unwillkuͤhrliche Thraͤnen rollten
dann uͤber ſeine Wangen, die ſelbſt Karolinens
Kuß und Bitte nicht ſtillen konnte; er war gern
allein, und traͤumte ſich dann, ſeinem eignen Ge-
ſtaͤndniſſe nach, immer wieder im Kerker.
Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und
wirklich innigen Antheil daran nahm, bemuͤhte
ſich ebenfalls nach allen Kraͤften, ihn zu ermun-
tern und zu troͤſten. Er liebte Konraden jetzt
gleich einem Sohne. Vermehrung ſeines Reich-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/140>, abgerufen am 16.07.2024.
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