fragte, und nun erfuhr, daß sie nach einer stun- denweit entfernten Kirche in die Frühmesse gegan- gen sei. Dieser Umstand widersprach der Möglich- keit des angeschuldeten Verdachts, aber die Be- weise, welche der Bauer zu liefern versprach, auch wirklich lieferte, waren auf der andern Sei- te wieder sehr stark, und nur allzuwichtig, um den Verdacht zu bestätigen. Die Wahrheit so bald als möglich zu ergründen, sandte der Rich- ter sein Weib der Beschuldeten nach, und trug ihr auf, sie unter irgend einem Vorwande zur schleunigen Rückkunft zu bewegen. Die Abgesand- te langte mit ihr wirklich nach einigen Stunden im Dorfe an, sie versicherte aber ihrem Manne, daß ungeachtet aller Beweise der Verdacht unge- gründet seyn müsse, weil sie an ihrer Gefähr- din nicht die geringste Schwäche entdeckt, viel- mehr Mühe gehabt habe, ihrem starken Schritte zu folgen.
Das Verhör begann, die Beweise wurden vor- gelegt, und die sich sicher dünkende dadurch so überrascht, daß sie sogleich die unnatürliche That bekannte. Ich habe, sprach sie, in der Nacht wirklich ein Kind gebohren, es zwar nicht ermor- det; da ich aber durch sein anhaltendes Geschrei Entdeckung befürchtete, ihm in der Angst den Mund mit Stroh verstopft, und wie ich, um al- len Argwohn zu vermeiden, nach der Kirche gieng, das unglückliche Geschöpf mit mir genommen,
und
fragte, und nun erfuhr, daß ſie nach einer ſtun- denweit entfernten Kirche in die Fruͤhmeſſe gegan- gen ſei. Dieſer Umſtand widerſprach der Moͤglich- keit des angeſchuldeten Verdachts, aber die Be- weiſe, welche der Bauer zu liefern verſprach, auch wirklich lieferte, waren auf der andern Sei- te wieder ſehr ſtark, und nur allzuwichtig, um den Verdacht zu beſtaͤtigen. Die Wahrheit ſo bald als moͤglich zu ergruͤnden, ſandte der Rich- ter ſein Weib der Beſchuldeten nach, und trug ihr auf, ſie unter irgend einem Vorwande zur ſchleunigen Ruͤckkunft zu bewegen. Die Abgeſand- te langte mit ihr wirklich nach einigen Stunden im Dorfe an, ſie verſicherte aber ihrem Manne, daß ungeachtet aller Beweiſe der Verdacht unge- gruͤndet ſeyn muͤſſe, weil ſie an ihrer Gefaͤhr- din nicht die geringſte Schwaͤche entdeckt, viel- mehr Muͤhe gehabt habe, ihrem ſtarken Schritte zu folgen.
Das Verhoͤr begann, die Beweiſe wurden vor- gelegt, und die ſich ſicher duͤnkende dadurch ſo uͤberraſcht, daß ſie ſogleich die unnatuͤrliche That bekannte. Ich habe, ſprach ſie, in der Nacht wirklich ein Kind gebohren, es zwar nicht ermor- det; da ich aber durch ſein anhaltendes Geſchrei Entdeckung befuͤrchtete, ihm in der Angſt den Mund mit Stroh verſtopft, und wie ich, um al- len Argwohn zu vermeiden, nach der Kirche gieng, das ungluͤckliche Geſchoͤpf mit mir genommen,
und
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fragte, und nun erfuhr, daß ſie nach einer ſtun-
denweit entfernten Kirche in die Fruͤhmeſſe gegan-
gen ſei. Dieſer Umſtand widerſprach der Moͤglich-
keit des angeſchuldeten Verdachts, aber die Be-
weiſe, welche der Bauer zu liefern verſprach,
auch wirklich lieferte, waren auf der andern Sei-
te wieder ſehr ſtark, und nur allzuwichtig, um
den Verdacht zu beſtaͤtigen. Die Wahrheit ſo
bald als moͤglich zu ergruͤnden, ſandte der Rich-
ter ſein Weib der Beſchuldeten nach, und trug
ihr auf, ſie unter irgend einem Vorwande zur
ſchleunigen Ruͤckkunft zu bewegen. Die Abgeſand-
te langte mit ihr wirklich nach einigen Stunden
im Dorfe an, ſie verſicherte aber ihrem Manne,
daß ungeachtet aller Beweiſe der Verdacht unge-
gruͤndet ſeyn muͤſſe, weil ſie an ihrer Gefaͤhr-
din nicht die geringſte Schwaͤche entdeckt, viel-
mehr Muͤhe gehabt habe, ihrem ſtarken Schritte
zu folgen.
Das Verhoͤr begann, die Beweiſe wurden vor-
gelegt, und die ſich ſicher duͤnkende dadurch ſo
uͤberraſcht, daß ſie ſogleich die unnatuͤrliche That
bekannte. Ich habe, ſprach ſie, in der Nacht
wirklich ein Kind gebohren, es zwar nicht ermor-
det; da ich aber durch ſein anhaltendes Geſchrei
Entdeckung befuͤrchtete, ihm in der Angſt den
Mund mit Stroh verſtopft, und wie ich, um al-
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das ungluͤckliche Geſchoͤpf mit mir genommen,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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