Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

liebt hatte, weinte selbst, als dieser Abschied zu
nehmen kam. Alles in der Welt ist eitel, sagte
er treuherzig mit Salomo, und übergab segnend den
jungen Helden Gottes allmächtigem Schutze.

Dieser duldete zwar mit äußrer Standhaftig-
keit, er schämte sich, vor seinen Husaren mit
Thränen zu erscheinen, aber sein Herz blutete.
Wie er um's Haus nach dem Dorfe hinabritt,
und Lottchen ihm vom Bodenfenster noch schluch-
zend ein gräßliches Lebewohl zurief, da brach's,
er konnte ihr nur mit nassem Auge danken, die
äußerste Beklemmung hatte ihm seine Sprache ge-
raubt, seine Hände gelähmt. Er war noch gleich
sprachlos, als die gutherzigen Bauern ihn im
Dorfe umringten, ihm Glück und Segen wünsch-
ten, und ein Glas Brandwein zur Labung reich-
ten. Ein Glück für ihn, daß seine zitternde
Hand es ganz verschüttete, es hätte ihm in die-
sen Umständen zum Gifte werden müssen. Auf
der Anhöhe blickte er noch einmal hinab in's kleine
Thal, wo er der süßen Stunden so viele genossen
hatte, am kleinen Kappfenster des Pfarrhofes
wehte das weisse Tuch seiner trostlosen Geliebten,
er sah's, er fühlte die Größe ihres Schmerzes
und spornte sein Pferd, damit er's nicht mehr sä-
he, nicht vollen Stoff zur Verzweiflung sammle.

Lottchen erschien mit rothgeweinten Augen beim
Mittagsmahle, sie konnte nichts essen, hatte

Erst. Bändch. E

liebt hatte, weinte ſelbſt, als dieſer Abſchied zu
nehmen kam. Alles in der Welt iſt eitel, ſagte
er treuherzig mit Salomo, und uͤbergab ſegnend den
jungen Helden Gottes allmaͤchtigem Schutze.

Dieſer duldete zwar mit aͤußrer Standhaftig-
keit, er ſchaͤmte ſich, vor ſeinen Huſaren mit
Thraͤnen zu erſcheinen, aber ſein Herz blutete.
Wie er um's Haus nach dem Dorfe hinabritt,
und Lottchen ihm vom Bodenfenſter noch ſchluch-
zend ein graͤßliches Lebewohl zurief, da brach's,
er konnte ihr nur mit naſſem Auge danken, die
aͤußerſte Beklemmung hatte ihm ſeine Sprache ge-
raubt, ſeine Haͤnde gelaͤhmt. Er war noch gleich
ſprachlos, als die gutherzigen Bauern ihn im
Dorfe umringten, ihm Gluͤck und Segen wuͤnſch-
ten, und ein Glas Brandwein zur Labung reich-
ten. Ein Gluͤck fuͤr ihn, daß ſeine zitternde
Hand es ganz verſchuͤttete, es haͤtte ihm in die-
ſen Umſtaͤnden zum Gifte werden muͤſſen. Auf
der Anhoͤhe blickte er noch einmal hinab in's kleine
Thal, wo er der ſuͤßen Stunden ſo viele genoſſen
hatte, am kleinen Kappfenſter des Pfarrhofes
wehte das weiſſe Tuch ſeiner troſtloſen Geliebten,
er ſah's, er fuͤhlte die Groͤße ihres Schmerzes
und ſpornte ſein Pferd, damit er's nicht mehr ſaͤ-
he, nicht vollen Stoff zur Verzweiflung ſammle.

Lottchen erſchien mit rothgeweinten Augen beim
Mittagsmahle, ſie konnte nichts eſſen, hatte

Erſt. Baͤndch. E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="65"/>
liebt hatte, weinte &#x017F;elb&#x017F;t, als die&#x017F;er Ab&#x017F;chied                     zu<lb/>
nehmen kam. Alles in der Welt i&#x017F;t eitel, &#x017F;agte<lb/>
er treuherzig mit                     Salomo, und u&#x0364;bergab &#x017F;egnend den<lb/>
jungen Helden Gottes allma&#x0364;chtigem                     Schutze.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er duldete zwar mit a&#x0364;ußrer Standhaftig-<lb/>
keit, er &#x017F;cha&#x0364;mte &#x017F;ich, vor                     &#x017F;einen Hu&#x017F;aren mit<lb/>
Thra&#x0364;nen zu er&#x017F;cheinen, aber &#x017F;ein Herz blutete.<lb/>
Wie                     er um's Haus nach dem Dorfe hinabritt,<lb/>
und Lottchen ihm vom Bodenfen&#x017F;ter                     noch &#x017F;chluch-<lb/>
zend ein gra&#x0364;ßliches Lebewohl zurief, da brach's,<lb/>
er                     konnte ihr nur mit na&#x017F;&#x017F;em Auge danken, die<lb/>
a&#x0364;ußer&#x017F;te Beklemmung hatte ihm                     &#x017F;eine Sprache ge-<lb/>
raubt, &#x017F;eine Ha&#x0364;nde gela&#x0364;hmt. Er war noch                     gleich<lb/>
&#x017F;prachlos, als die gutherzigen Bauern ihn im<lb/>
Dorfe umringten, ihm                     Glu&#x0364;ck und Segen wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
ten, und ein Glas Brandwein zur Labung                     reich-<lb/>
ten. Ein Glu&#x0364;ck fu&#x0364;r ihn, daß &#x017F;eine zitternde<lb/>
Hand es ganz                     ver&#x017F;chu&#x0364;ttete, es ha&#x0364;tte ihm in die-<lb/>
&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden zum Gifte werden                     mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Auf<lb/>
der Anho&#x0364;he blickte er noch einmal hinab in's kleine<lb/>
Thal,                     wo er der &#x017F;u&#x0364;ßen Stunden &#x017F;o viele geno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte, am kleinen Kappfen&#x017F;ter des                     Pfarrhofes<lb/>
wehte das wei&#x017F;&#x017F;e Tuch &#x017F;einer tro&#x017F;tlo&#x017F;en Geliebten,<lb/>
er &#x017F;ah's,                     er fu&#x0364;hlte die Gro&#x0364;ße ihres Schmerzes<lb/>
und &#x017F;pornte &#x017F;ein Pferd, damit er's                     nicht mehr &#x017F;a&#x0364;-<lb/>
he, nicht vollen Stoff zur Verzweiflung &#x017F;ammle.</p><lb/>
        <p>Lottchen er&#x017F;chien mit rothgeweinten Augen beim<lb/>
Mittagsmahle, &#x017F;ie konnte                     nichts e&#x017F;&#x017F;en, hatte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Er&#x017F;t. Ba&#x0364;ndch.                         E</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0079] liebt hatte, weinte ſelbſt, als dieſer Abſchied zu nehmen kam. Alles in der Welt iſt eitel, ſagte er treuherzig mit Salomo, und uͤbergab ſegnend den jungen Helden Gottes allmaͤchtigem Schutze. Dieſer duldete zwar mit aͤußrer Standhaftig- keit, er ſchaͤmte ſich, vor ſeinen Huſaren mit Thraͤnen zu erſcheinen, aber ſein Herz blutete. Wie er um's Haus nach dem Dorfe hinabritt, und Lottchen ihm vom Bodenfenſter noch ſchluch- zend ein graͤßliches Lebewohl zurief, da brach's, er konnte ihr nur mit naſſem Auge danken, die aͤußerſte Beklemmung hatte ihm ſeine Sprache ge- raubt, ſeine Haͤnde gelaͤhmt. Er war noch gleich ſprachlos, als die gutherzigen Bauern ihn im Dorfe umringten, ihm Gluͤck und Segen wuͤnſch- ten, und ein Glas Brandwein zur Labung reich- ten. Ein Gluͤck fuͤr ihn, daß ſeine zitternde Hand es ganz verſchuͤttete, es haͤtte ihm in die- ſen Umſtaͤnden zum Gifte werden muͤſſen. Auf der Anhoͤhe blickte er noch einmal hinab in's kleine Thal, wo er der ſuͤßen Stunden ſo viele genoſſen hatte, am kleinen Kappfenſter des Pfarrhofes wehte das weiſſe Tuch ſeiner troſtloſen Geliebten, er ſah's, er fuͤhlte die Groͤße ihres Schmerzes und ſpornte ſein Pferd, damit er's nicht mehr ſaͤ- he, nicht vollen Stoff zur Verzweiflung ſammle. Lottchen erſchien mit rothgeweinten Augen beim Mittagsmahle, ſie konnte nichts eſſen, hatte Erſt. Baͤndch. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/79
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/79>, abgerufen am 28.11.2024.