auswendig, und ist in der Rechenkunst weit über's Mittelmäßige hinaus.
Da er stets eingezogen, immer nur für sich lebte, nie an öffentlichen Oertern, nur in der Kirche äußerst richtig, erschien, so vermißten ihn seine Freunde erst einst an einem Sonntage, als er wahrscheinlich schon eine ganze Woche zuvor in seinem kleinen Stübchen ohne Pflege und Hülfe krank gelegen war. Sie fanden ihn wenigstens dort ohne Gefühl, ohne Verstand. Nach langer, anhaltender Pflege kehrte endlich seine Gesundheit, aber nie mehr sein Verstand, zurück. Die Zeit seiner Krankheit stimmt genau mit derjenigen überein, welche er in der Oberwelt will zuge- bracht haben. Anfangs sprach er auch nur von dieser; die Idee, daß er ein Abkömmling Karl des Vierten sei, kam erst lange nachher zum Vorschei- ne, ist aber jetzt der größte Gegenstand seiner Beschäftigung.
Als Kaiser Joseph starb, und sich die böhmi- schen Stände zur Huldigung seines erlauchten Nachfolgers in Prag versammelten, sandte er wirklich eine Schrift an diese ehrwürdige Ver- sammlung, worinne er gegen die Wahl eines neuen Königs förmlich protestirte, und jene auf seine Rechte, die er auf die böhmische Krone zu haben vermeinte, aufmerksam zu machen suchte. Ich besitze das von ihm selbst entworfene Konzept die- ser merkwürdigen Schrift, ich würde sie wörtlich
auswendig, und iſt in der Rechenkunſt weit uͤber's Mittelmaͤßige hinaus.
Da er ſtets eingezogen, immer nur fuͤr ſich lebte, nie an oͤffentlichen Oertern, nur in der Kirche aͤußerſt richtig, erſchien, ſo vermißten ihn ſeine Freunde erſt einſt an einem Sonntage, als er wahrſcheinlich ſchon eine ganze Woche zuvor in ſeinem kleinen Stuͤbchen ohne Pflege und Huͤlfe krank gelegen war. Sie fanden ihn wenigſtens dort ohne Gefuͤhl, ohne Verſtand. Nach langer, anhaltender Pflege kehrte endlich ſeine Geſundheit, aber nie mehr ſein Verſtand, zuruͤck. Die Zeit ſeiner Krankheit ſtimmt genau mit derjenigen uͤberein, welche er in der Oberwelt will zuge- bracht haben. Anfangs ſprach er auch nur von dieſer; die Idee, daß er ein Abkoͤmmling Karl des Vierten ſei, kam erſt lange nachher zum Vorſchei- ne, iſt aber jetzt der groͤßte Gegenſtand ſeiner Beſchaͤftigung.
Als Kaiſer Joſeph ſtarb, und ſich die boͤhmi- ſchen Staͤnde zur Huldigung ſeines erlauchten Nachfolgers in Prag verſammelten, ſandte er wirklich eine Schrift an dieſe ehrwuͤrdige Ver- ſammlung, worinne er gegen die Wahl eines neuen Koͤnigs foͤrmlich proteſtirte, und jene auf ſeine Rechte, die er auf die boͤhmiſche Krone zu haben vermeinte, aufmerkſam zu machen ſuchte. Ich beſitze das von ihm ſelbſt entworfene Konzept die- ſer merkwuͤrdigen Schrift, ich wuͤrde ſie woͤrtlich
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auswendig, und iſt in der Rechenkunſt weit uͤber's
Mittelmaͤßige hinaus.
Da er ſtets eingezogen, immer nur fuͤr ſich
lebte, nie an oͤffentlichen Oertern, nur in der
Kirche aͤußerſt richtig, erſchien, ſo vermißten ihn
ſeine Freunde erſt einſt an einem Sonntage, als
er wahrſcheinlich ſchon eine ganze Woche zuvor
in ſeinem kleinen Stuͤbchen ohne Pflege und Huͤlfe
krank gelegen war. Sie fanden ihn wenigſtens
dort ohne Gefuͤhl, ohne Verſtand. Nach langer,
anhaltender Pflege kehrte endlich ſeine Geſundheit,
aber nie mehr ſein Verſtand, zuruͤck. Die Zeit
ſeiner Krankheit ſtimmt genau mit derjenigen
uͤberein, welche er in der Oberwelt will zuge-
bracht haben. Anfangs ſprach er auch nur von
dieſer; die Idee, daß er ein Abkoͤmmling Karl des
Vierten ſei, kam erſt lange nachher zum Vorſchei-
ne, iſt aber jetzt der groͤßte Gegenſtand ſeiner
Beſchaͤftigung.
Als Kaiſer Joſeph ſtarb, und ſich die boͤhmi-
ſchen Staͤnde zur Huldigung ſeines erlauchten
Nachfolgers in Prag verſammelten, ſandte er
wirklich eine Schrift an dieſe ehrwuͤrdige Ver-
ſammlung, worinne er gegen die Wahl eines neuen
Koͤnigs foͤrmlich proteſtirte, und jene auf ſeine
Rechte, die er auf die boͤhmiſche Krone zu haben
vermeinte, aufmerkſam zu machen ſuchte. Ich
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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