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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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Ich. (im sinkenden Tone) Einbildung?

Pfarrer. Ja, denn in der Wirklichkeit ist
er nur ein armer Schneider.

Ich. Ein armer Schneider?

Pfarrer. Der lange schon seinen Verstand
verlohren hat, sich aber in seinem Wahnsinne grö-
ser, und wahrscheinlich auch glücklicher, als wir
alle, dünkt.

Ich. So wäre er wirklich wahnsinnig? Aber
seine Physiognomie?

Pfarrer. Verräth allerdings keine Spur
des Wahnsinns, wenn Sie also über die Kennt-
niß derselben sich ein System verfertigt haben, so
müssen Sie die seinige als eine Ausnahme von der
allgemeinen Regel ansehen.

Ich. So wurde meine Erwartung noch nie
gespannt, so noch nie betrogen! Ist er schon lan-
ge wahnsinnig?

Pfarrer. Vielleicht schon zwanzig Jahre.

Ich. So lange schon! Worinne besteht dieser
Wahnsinn?

Pfarrer. Er theilt sich vollkommen in zwei
Theile, welche sich nach zwei Büchern ordnen, in
denen er unaufhörlich liest, und sie für seinen
größten Schatz hält.

Ich. Was sind das für Bücher?

Pfarrer. Eine alte böhmische Kronik, dann

Ich. (im ſinkenden Tone) Einbildung?

Pfarrer. Ja, denn in der Wirklichkeit iſt
er nur ein armer Schneider.

Ich. Ein armer Schneider?

Pfarrer. Der lange ſchon ſeinen Verſtand
verlohren hat, ſich aber in ſeinem Wahnſinne groͤ-
ſer, und wahrſcheinlich auch gluͤcklicher, als wir
alle, duͤnkt.

Ich. So waͤre er wirklich wahnſinnig? Aber
ſeine Phyſiognomie?

Pfarrer. Verraͤth allerdings keine Spur
des Wahnſinns, wenn Sie alſo uͤber die Kennt-
niß derſelben ſich ein Syſtem verfertigt haben, ſo
muͤſſen Sie die ſeinige als eine Ausnahme von der
allgemeinen Regel anſehen.

Ich. So wurde meine Erwartung noch nie
geſpannt, ſo noch nie betrogen! Iſt er ſchon lan-
ge wahnſinnig?

Pfarrer. Vielleicht ſchon zwanzig Jahre.

Ich. So lange ſchon! Worinne beſteht dieſer
Wahnſinn?

Pfarrer. Er theilt ſich vollkommen in zwei
Theile, welche ſich nach zwei Buͤchern ordnen, in
denen er unaufhoͤrlich lieſt, und ſie fuͤr ſeinen
groͤßten Schatz haͤlt.

Ich. Was ſind das fuͤr Buͤcher?

Pfarrer. Eine alte boͤhmiſche Kronik, dann

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[38/0052] Ich. (im ſinkenden Tone) Einbildung? Pfarrer. Ja, denn in der Wirklichkeit iſt er nur ein armer Schneider. Ich. Ein armer Schneider? Pfarrer. Der lange ſchon ſeinen Verſtand verlohren hat, ſich aber in ſeinem Wahnſinne groͤ- ſer, und wahrſcheinlich auch gluͤcklicher, als wir alle, duͤnkt. Ich. So waͤre er wirklich wahnſinnig? Aber ſeine Phyſiognomie? Pfarrer. Verraͤth allerdings keine Spur des Wahnſinns, wenn Sie alſo uͤber die Kennt- niß derſelben ſich ein Syſtem verfertigt haben, ſo muͤſſen Sie die ſeinige als eine Ausnahme von der allgemeinen Regel anſehen. Ich. So wurde meine Erwartung noch nie geſpannt, ſo noch nie betrogen! Iſt er ſchon lan- ge wahnſinnig? Pfarrer. Vielleicht ſchon zwanzig Jahre. Ich. So lange ſchon! Worinne beſteht dieſer Wahnſinn? Pfarrer. Er theilt ſich vollkommen in zwei Theile, welche ſich nach zwei Buͤchern ordnen, in denen er unaufhoͤrlich lieſt, und ſie fuͤr ſeinen groͤßten Schatz haͤlt. Ich. Was ſind das fuͤr Buͤcher? Pfarrer. Eine alte boͤhmiſche Kronik, dann

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/52>, abgerufen am 24.11.2024.