wunderung auszudrücken, Kätchen war vor zehn Jahren wirklich ein schönes Mädchen, jetzt war ihr Gesicht bis zur Häßlichkeit herabgesunken, nicht eine Spur der ehemaligen Schönheit war mehr vorhanden, alle die so interessirenden, anzie- henden Mienen waren verschwunden, ihr Auge selbst war kleiner geworden, dicke, verzerrte Fal- ten umhüllten es. Ihr Gesicht verkündigte nicht mehr unterdrückte Unschuld, inneres Leiden, es war jetzt das Bild der vollendeten Narrheit. Ihr Haar, das sich ehemals in natürlichen Locken um Nacken und Schulter wiegte, war jetzt in einan- der gewirrt, und hob die Haube empor, die es decken sollte. Fahles Gelb hatte die blasse Röthe ihrer Wangen verdrängt, ihr Kopf hing seit- wärts, selbst ihr Körper war kleiner geworden. So geht's ihr jetzt wohl schlimmer rief ich endlich nach langem Staunen aus.
Die Alte. Schlimmer eben nicht, nur daß jetzt auch die Hofnung zur Besserung schwindet. Sie treibt's noch immer im Alten, arbeitet nur, wenn's ihr beliebt, und betet ohne Unterlaß. Das Andenken an ihren Liebhaber, vorzüglich aber sein eingebildetes, blutiges Ende, scheint nach und nach ganz aus ihrem Gedächtnisse zu verschwinden, sie spricht selten mehr von ihm, und nur in allgemeinen, flüchtigen Ausdrücken, aber der Verlust ihres Häuschens liegt ihr noch gleich stark am Herzen, von diesem spricht sie oft und vielmals. -- Ich wollte noch vieles mit der
wunderung auszudruͤcken, Kaͤtchen war vor zehn Jahren wirklich ein ſchoͤnes Maͤdchen, jetzt war ihr Geſicht bis zur Haͤßlichkeit herabgeſunken, nicht eine Spur der ehemaligen Schoͤnheit war mehr vorhanden, alle die ſo intereſſirenden, anzie- henden Mienen waren verſchwunden, ihr Auge ſelbſt war kleiner geworden, dicke, verzerrte Fal- ten umhuͤllten es. Ihr Geſicht verkuͤndigte nicht mehr unterdruͤckte Unſchuld, inneres Leiden, es war jetzt das Bild der vollendeten Narrheit. Ihr Haar, das ſich ehemals in natuͤrlichen Locken um Nacken und Schulter wiegte, war jetzt in einan- der gewirrt, und hob die Haube empor, die es decken ſollte. Fahles Gelb hatte die blaſſe Roͤthe ihrer Wangen verdraͤngt, ihr Kopf hing ſeit- waͤrts, ſelbſt ihr Koͤrper war kleiner geworden. So geht's ihr jetzt wohl ſchlimmer rief ich endlich nach langem Staunen aus.
Die Alte. Schlimmer eben nicht, nur daß jetzt auch die Hofnung zur Beſſerung ſchwindet. Sie treibt's noch immer im Alten, arbeitet nur, wenn's ihr beliebt, und betet ohne Unterlaß. Das Andenken an ihren Liebhaber, vorzuͤglich aber ſein eingebildetes, blutiges Ende, ſcheint nach und nach ganz aus ihrem Gedaͤchtniſſe zu verſchwinden, ſie ſpricht ſelten mehr von ihm, und nur in allgemeinen, fluͤchtigen Ausdruͤcken, aber der Verluſt ihres Haͤuschens liegt ihr noch gleich ſtark am Herzen, von dieſem ſpricht ſie oft und vielmals. — Ich wollte noch vieles mit der
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wunderung auszudruͤcken, Kaͤtchen war vor zehn
Jahren wirklich ein ſchoͤnes Maͤdchen, jetzt war
ihr Geſicht bis zur Haͤßlichkeit herabgeſunken,
nicht eine Spur der ehemaligen Schoͤnheit war
mehr vorhanden, alle die ſo intereſſirenden, anzie-
henden Mienen waren verſchwunden, ihr Auge
ſelbſt war kleiner geworden, dicke, verzerrte Fal-
ten umhuͤllten es. Ihr Geſicht verkuͤndigte nicht
mehr unterdruͤckte Unſchuld, inneres Leiden, es
war jetzt das Bild der vollendeten Narrheit. Ihr
Haar, das ſich ehemals in natuͤrlichen Locken um
Nacken und Schulter wiegte, war jetzt in einan-
der gewirrt, und hob die Haube empor, die es
decken ſollte. Fahles Gelb hatte die blaſſe Roͤthe
ihrer Wangen verdraͤngt, ihr Kopf hing ſeit-
waͤrts, ſelbſt ihr Koͤrper war kleiner geworden.
So geht's ihr jetzt wohl ſchlimmer rief ich endlich
nach langem Staunen aus.
Die Alte. Schlimmer eben nicht, nur daß
jetzt auch die Hofnung zur Beſſerung ſchwindet.
Sie treibt's noch immer im Alten, arbeitet nur,
wenn's ihr beliebt, und betet ohne Unterlaß.
Das Andenken an ihren Liebhaber, vorzuͤglich
aber ſein eingebildetes, blutiges Ende, ſcheint
nach und nach ganz aus ihrem Gedaͤchtniſſe zu
verſchwinden, ſie ſpricht ſelten mehr von ihm,
und nur in allgemeinen, fluͤchtigen Ausdruͤcken,
aber der Verluſt ihres Haͤuschens liegt ihr noch
gleich ſtark am Herzen, von dieſem ſpricht ſie oft
und vielmals. — Ich wollte noch vieles mit der
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/43>, abgerufen am 16.02.2025.
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